Gisbert Kranz an seine Familie, 7. Januar 1942

Lemberg, den 7.I.42.

Meine Lieben!

Ihr seht: Ich schreibe wieder mit Tinte; ich bin also wieder in Europa. Doch zuerst will ich Euch berichten, wie ich hierhin gekommen bin.

Am Morgen des 4. Januar wurden wir in Dnjepropetrowsk in einen Zug nach Lemberg gesetzt. Ich hatte Glück und kam in ein Abteil 2. Klasse, wo außer mir noch ein Oberleutnant von der Infanterie, ein Feldwebel von der Feldgendarmerie, ein Oberscharführer von der SS Leibstandarte Adolf Hitler und ein Gefreiter saß. Wir hatten uns auf der ganzen Fahrt ganz fabelhaft verstanden. Der Oberscharführer von der LAH war ein ganz fabelhafter Kerl mit unverwüstlichem Humor, der uns stundenlang unterhalten konnte. Der Oberleutnant teilte mit uns Wurst und Fett und packte sogar eines Morgens eine feine Flasche französ.

Likörs mit drei Sternen aus seinem Koffer, die er immer reihum gehen ließ. Überhaupt brauchten wir unterwegs nicht zu darben. Die Verpflegung war tadellos. Am ersten Abend bekamen wir drei doppelte Stullen, mit Schmalz dick bestrichen und mit gekochtem Schinken belegt (!), Tee mit Rum, eine Tafel feiner französ. Vollmilchschokolade und 15 Zigaretten. Ich war geradezu gerührt. So ein gutes Abendbrot hatte ich während des ganzen Rußlandfeldzuges noch nicht bekommen. Auch am nächsten Tag gabs wieder Zigaretten (Salem) und Schokolade. Und tagsüber Suppe und Kaffee an den einzelnen Stationen. Es war geradezu ein aesthetischer Genuß, die sauber gekleideten und netten deutschen Rot Kreuz-Schwestern zu sehen. Stellt Euch das vor: Nach langen Monaten sieht man wieder mal deutsche Mädel lachen und sprechen!

Und dann, als auf irgendeinem galizischen Bahnhof Zeitungen ausgerufen wurden und wir alle deutschen Illustrierten kaufen konnten, da fühlten wir uns wieder ein gewaltiges Stück der Heimat näher.

Diese Fahrt war schon entschieden angenehmer,

als die bis Dnjepropetrowsk. Doch passierten auch hier wieder einige Schlampereien, die uns wieder gehörig in Wut versetzten und uns mit 24 Stunden Verspätung in Lemberg angelangen ließen. –

Nun liege ich in der Universitätsklinik in einem sauberen, bezogenen Bett (zum erstenmal seit 5 Monaten wieder Bettwäsche!). Die Läuse bin ich los, ich habe mich gebadet, richtiggehend in einer Wanne (die Füße mußten allerdings draußen bleiben), rasiert und mein rabenschwarzes, durch 4 Wochen tag und nacht getragenes Hemd gegen ein sauberes getauscht. Um mich herum Sauberkeit und Kultur. Ich fühle mich wie im siebenten Himmel. – Wie lange ich hier bleibe, weiß ich nicht. Sicher ist, daß ich bald weiter

Richtung Heimat fahre.

Und nun muß ich schlafen. Denn ich bin furchtbar müde. Im Eisenbahnabteil zu schlafen, isst ein Kunststück, und wenn man obendrein den Pelz voll Läuse hat, Scheibenkleister. Zum letztenmal hatte ich in Dnjepropetrowsk richtig geschlafen. Und dann muß ich ja die Wonne des Bettes auskosten. Darin läßt sich gut von zu Hause träumen, von Urlaub und von Euch, Ihr Lieben.

Schlaft gut! Gute Nacht!

Gisbert