Gisbert Kranz an seine Mutter Berta, 25. März 1942

Neuruppin, den 25.III.42.

Liebe Mutter!

Eigentlich ist diese Anrede ein Pleonasmus: Sie enthält eine Überflüssigkeit, denn im Namen Mutter ist alle Liebe enthalten, es bedarf nicht des Adjektivs. – Leider ist die Sperre, die wegen eines Scharlachfalles über unsere Station verhängt worden ist, verlängert worden: sie soll bis zum 9.IV. dauern. Ich bedaure das sehr, denn es ist ein trauriges Gefühl, hinter verschlossenen Türen und vergitterten Fenstern zu hocken, während draußen die Frühlingssonne scheint. Außerdem ist es mir unmöglich, am Gottesdienst dieser liturgisch bedeutsamen Tage teilzunehmen. Du wirst meine Sehnsucht verstehen, wenn ich Dir sage, daß ich seit Weihnachten keine Messe mehr mit-

feiern konnte. Doch muß ich das als eine Fügung Gottes mit Geduld ertragen. Um so größere Freude werde ich nachher an meinem Urlaub haben. –

Ich versprach Euch, in diesen Tagen meine Bücher zu schicken, habe jedoch von diesem Vorhaben Abstand genommen, obwohl ich das Paket schon fertiggemacht habe. Ich will es lieber selbst zur Post bringen, wenn es auch noch zwei Wochen dauert; es eilt ja nicht so sehr. –

In einem Deiner letzten Briefe, Mutter, fragst Du nach meinem Eindruck von Neuruppin. Es ist ein sauberes Städtchen mit schönen Straßen und einigen reizvollen Gebäuden, und ich glaube, daß Dich die maßvolle Gliederung des Platzes vor dem Rathaus ebenso entzückt hat wie mich. Die Präsidentenstraße habe ich übrigens gefunden, und ich habe natürlich aus nicht verfehlt, die Kirche aufzusuchen.

Du fragst in Deinem letzten Brief, ob ich Deine Pakete alle erhalten habe. Es sind alle unversehrt hier angekommen. Ich muß Dich übrigens um Verzeihung bitten, da ich in meiner Nachlässigkeit ganz vergaß, Dir für den „Steeler Krieger“[=?] zu danken, was ich hiermit nachholen möchte. Ich habe ihn allerdings noch nicht geöffnet, da ich die letzten Tage mit einem Pfälzer Abiturienten, mit dem ich mich oft unterhalte, mehrere Flaschen Weißweins aus seiner Heimat vom letzten Jahrgang probiert habe. Ich habe mich dann mit Pralinen und Plätzchen revanchiert, von denen ich ja genug hatte. Es hat uns beiden gut geschmeckt, u. ich will Dir auch an dieser Stelle noch einmal für Deine Mühe danken und für alle Liebe, die Du in das Backwerk hineingebacken hast. Ich will auch nicht vergessen, Tante Nettchen für ihre „materielle“ Mithilfe zu danken. –

Die Zeitung mit meinem Artikel habe ich erhalten, doch die März-Nr. glaube ich noch nicht bekommen zu haben. Wenn Ihr noch ein Exemplar da habt, schickt es mir bitte zu.

Nun glaube ich, alle Deine Anfragen beantwortet zu haben. Ich darf noch einmal meine Bitte um Zusendung der gewünschten Bücher (Buchgemeinde u. Gogol) wiederholen, und ich hoffe, daß Ihr sie erfüllt, sobald es Euch möglich ist. Ich bin nämlich sehr begierig danach, die Bände bald hier zu haben.

- In Dankbarkeit grüße ich Dich vielmals

Dein Gisbert

Herzl. Grüße an Vater, meine Brüder u. Tante Nettchen.