Gisbert Kranz an seine Familie, 21. Oktober 1942
Danzig, den 21.X.42.
Meine Lieben!
Sonntag bin ich mit Jupp Breuer nach Zoppot gefahren, wo wir einen schönen Nachmittag verbrachten. Abends sahn wir im Stadttheater Zoppot-Gotenhafen Schreyvogels Komödie „Die kluge Wienerin“. Ich war sehr enttäuscht von dem Stück, um das in der Presse soviel Aufhebens gemacht wurde. Unter Komödie stelle ich mir etwas anderes vor; hierbei habe ich nicht viel zu lachen gehabt, höchstens über die lächerlichen Kostüme, die aller Archäologie u. Aesthetik spotteten (das Stück spielt zur Zeit Mark Aurels 175 n. Chr.) und über die Blödheit des Publikums. Die Tendenz des Stückes (werden heute noch Dramen geschrieben
ohne Tendenz?) war faustdick aufgetragen und richtete sich gegen das römische Recht zu Gunsten des „gesunden Volksempfindens“. Das Thema ist der Behandlung wert, fand hier aber eine jämmerliche Auffassung. Außerdem versuchte das Stück einen Hochgesang auf die freie Liebe, der aber recht läppisch geriet. Vielleicht hätte das Stück bei einer besseren Inszenierung günstiger gewirkt. Die Kräfte des noch jungen Stadttheaters sind sehr schwach. –
Da der Dienst erst morgen beginnt, konnten wir uns noch ein paar schöne Tage machen. Ich habe wieder viel gelesen. – Gerade erhalte ich Euren Brief, für den ich danke. Da fragt Ihr, meine lieben Eltern, wo mein Geld bliebe. Zunächst möchte ich da feststellen, daß ich noch über 80 M habe. Ferner habe ich in den letzten
flimmernde Hitze des Mittags auf den Bildern Vinzent van Gogh’s und die Klarheit des Lichts in den Landschaften Friedrichs, und finde das Licht in der Nacht in den Werken Rembrandts wieder. Ich bedaure nur sehr, nicht viel in den Naturwissenschaften bewandert zu sein, da mir gründlichere Kenntnisse der Biologie, Physik, Meteorologie und Geologie eine tiefere Einsicht in das Weben der Schöpfung geben könnten. Dem universalen Goethe, der auf all diesen Gebieten beschlagen war, zeigte sich die Natur in ihrem ganzen Zauber, und in seinem Reisetagebuch lese ich immer wieder von seinem Entzücken über ihre Schönheiten und von seiner Ehrfurcht vor ihren Geheimnissen. Ich stehe vielen ihrer Dinge noch unwissend gegenüber (vielleicht schenkt Gott mir dieses Wissen), aber ihre Erhabenheit ahnend erkenne ich in ihnen, ob sie groß oder klein sind,
das Walten Gottes.
Es grüßt Euch herzlich
Euer Gisbert
Nb. Meine Anschrift heißt jetzt nicht mehr „Inf. Ersatz. Btl.“, sondern
„1. Komp. Inf. Ausbildungsbataillon 120 mot.“
abgekürzt „1. J. A. B. 120 mot.“
Das ist nur ein anderer Name für dieselbe Einheit, der ich bisher angehörte. Achtet bitte darauf, da eine andere Kompanie 1. JEB 120 mot. heißt, und ich bei falscher Adressierung die Post später erhalten würde. –
Auf das Kuchenpaket freue ich mich jetzt schon. –