Gisbert Kranz an seine Eltern, Anfang (?) Januar 1947

[?].I.47. Liebe, gute Eltern! Da haben wir uns einigen Kummer bereitet, und es ist schlimmer geworden, als es gedacht war. Mutter hat recht: Ich schrieb jenen Brief in einer wenig guten Stimmung. Es war just die Stimmung, in die mich ihr Brief selbst versetzt hatte. Es mußte mich erregen, in dieser Einsamkeit, in der kein liebend Herz einem nahe ist, von der Hand jener Menschen, die ich am meisten liebe auf der Welt, zu lesen, ich zeige keine Teilnahme an ihren Sorgen, sei und bleibe der Alte, ein Fantast und fühle nichts von der Wirklichkeit, die Euch bedrängt. Nicht, daß Ihr mir das schriebt, verletzte mich (denn was könnte ich lebhafter wünschen als Freimut und Offenheit zu mir), sondern daß Ihr so ungerecht über mich dachtet. Denn es ist nicht wahr, daß ich mich wenig um Eure Nöte kümmere, auch wenn in meinen Briefen vielleicht wenig von den besorgten Gedanken um Euch zum Ausdruck kommt. Euer Schicksal und Glück ist mit dem meinigen unauflöslich verflochten, und es bedarf keiner wiederholten Versicherungen, daß ich Euch mit allen Kräften zur Seite stehen werde, bin ich erst daheim. Mit allen Kräften – hört Ihr’s? – und nicht „anstandshalber“, sondern gern und freudig. Was mir von Euren Bitten unmöglich zu erfüllen schien, war das Dringen auf Schritte, die ich zur sofortigen Repatriierung unternehmen sollte. Der Weg für derartige Gesuche ist eng und lang und vorgeschrieben, und auf andern Wegen läßt sich das Ziel nicht erreichen. Ich habe alle Mittel versucht, die mir zu Gebote standen. Die Sympathie der Vorgesetzten kann die Bestimmungen der höchsten Behörden nicht umgehen, um mir zu helfen.

Liebe Eltern! Die Verstimmung wäre bei einem ausführlichen mündlichen Gespräch garnicht aufgekommen, da Mißverständnisse und Irrtümer sofort und unmittelbar geklärt und berichtigt werden können. Bei dem gegenwärtigen umständlichen Postverkehr sind solche Irrtümer und Mißverständnisse fast unvermeidlich. Wie Ihr mir gegenüber, so war ich Euch gegenüber offen, ohne verletzen zu wollen. Doch da dieser Offenheit die Unmittelbarkeit und Vollständigkeit fehlte, verursachte sie einigen Kummer, der nun wohl besänftigt ist. Mutter bemerkt richtig, daß man in verdrießlicher Stimmung nicht schreiben soll, da Geschriebenes schwerer als Gesagtes wirkt. So haben wir nun beide eine Erfahrung gemacht, die uns künftig vor ähnlichen Übereilungen warnen wird. Was ich von möglicher Entfremdung schrieb, entsprang meiner übergroßen Liebe zu Euch, die ängstlich besorgt ist, Euch nicht auf irgendeine Weise zu verlieren. Es war doch[=?] gut, an die Möglichkeit eines solchen (gegenseitigen) Verlustes zu erinnern; denn schon der Gedanke daran spornt uns an zu größerer Liebe zum Guten an den Geliebten und zu bereitwilliger Nachsicht ihrer Fehler. Euer Brief vom 22.XII. hat mich deshalb sehr bewegt, weil er mich wie kein anderer von Eurer Liebe überzeugte und gleichzeitig meine Ungerechtigkeit Euch gegenüber zeigte. Verzeiht mir, ich habe Euch immer lieb gehabt, auch als ich bittere Worte schrieb, aber ich habe Euch einen Moment verkannt. O die Post! die leidige Post! Nein – oh über einen Fantasten! Habt ihn nichtsdestoweniger lieb!

Euer Gisbert.