Gisbert Kranz an seine Eltern, 22. Juni 1946
22.VI.46. Liebe Eltern! Ein Freund schenkte mir ein Formular, sodaß ich auf Euren Brief von Pfingsten gleich antworten kann. Ich verstehe Eure Sorgen, ich leide mit Euch, kann aber nichts für Euch tun als beten. Und vielleicht Euch einen Rat geben – aus dem Geiste der Religion heraus, in der Ihr mich erzogen habt. Ihr bangt um Euer Eigentum. Um Euretwillen? Ihr seid doch Christen! Denkt an die Hl. Elisabeth! Tut Gutes allen, auch dem Arbeiter, auch dem Unsympathischen, auch dem Feinde. Sie alle sind Kinder unseres Vaters. Die Liebe steht höher als die Gerechtigkeit. Seht nicht auf andere, die weniger opfern, sondern geht mit gutem Beispiel voran. Hängt nicht am irdischen Besitz. Wartet nicht auf Befehle, sondern schenkt freiwillig. Ihr könnt noch schenken: wie reich seid Ihr! Oder wollt Ihr Euer Eigentum für mich erhalten? Ich bin sehr anspruchslos geworden. Seit zwei Jahren lebe ich ohne Bettwäsche, ohne „Möbel“, trage nur Lumpen. Mein Schlaflager besteht aus einem Strohsack u. 3 Decken. Wie ein Kleiderschrank, ein Stuhl aussieht, weiß ich kaum noch. Wie wenig braucht der Mensch zum Leben! Wenn es sein muß, lebe ich so mein ganzes Leben. Ich verzichte auf äußeren Reichtum. Den inneren Reichtum kann mir niemand nehmen. Wenn ich zu Hause zwei Anzüge u. etwas Wäsche vorfinde, bin ich’s zufrieden. Nur bitte ich Euch, meine Bücher zu verschließen u. zu versiegeln. Sonst gebt mit freien Händen. Ich weiß, was ich Euch zumute. Zu vielen Opfern ein neues Opfer. Aber seid Ihr Christen? Seht aufs Kreuz! In dieser Zeit können wir uns keine bürgerliche, behagliche Existenz mehr erhalten. – Mein Konto gehört Euch (1500-2000 M?). Habt Mut! Es grüßt Euch in Liebe Euer Gisbert.