Marianne Ivanchich an Willi Büse, 5. Juni 1940
Rochlowitz, 5. Juni 1940
Lieber Dotz!
Deine frohen Pfingstgrüße haben mich sehr gefreut. Ich bin wohl etwas "schweigsam" geworden, das soll aber nicht heißen, daß ich Dich und unseren Kreis vergessen hätte. Im Gegenteil! Oft sind meine Gedanken bei Euch. Unser Beisammensein, unsere Fahrten u. Lieder haben uns ja zusammengeführt. Wie geht es Dir? Bist wieder ganz auf der Höh? Hoffentlich. Ich wünsche Dir so sehr gute Gesundheit, weil Du doch so ein junger, lieber Kerl bist. Du hast wieder viele schöne Aufnahmen gemacht? Lass mich mal eins Deiner Prachtexemplare sehn!
Wart Ihr wieder mal in Marienthal oder Altenberg? Könnt Ihr Euren Kreis halten? Wie geht es H. Herrn Kaplan Rönz? Laß ihn herzlich grüßen von mir. Auch die kleinen Jungen, bes. den S???. Denk, ich war über Pfingsten in Wien, feine Sache! Eine gute Freundin hat mich eingeladen. Auf dem Leopoldberg hatten wir Gemeinschaftsmesse. Ich war bei so lieben Leuten, daß ich fast nimmer weg wollte aus Wien. Wenn man die Gemeinschaft lang entbehren muß, weiß man sie um so mehr zu schätzen. Meine Mutter hat es auch schwer, da von den 4 Kindern keines zu Hause ist. Ich werde wohl
noch lange hier bleiben müssen. Die Arbeit gefällt mir nicht schlecht. Die Kinder haben mich lieb, zeigen mir es oft auf die netteste Weise und Fortschritte können wir auch sehen. Vor einem Jahr als ich anfing und zu den Kindern sprach, konnte sie überhaupt nichts verstehen. Jetzt sind sie wesentlich weiter. Begabte Kinder tun ganz gut erzählen, verstehen können mich alle bis auf ein paar, aus denen überhaupt nichts herauszukriegen ist. Nebenbei habe ich Zeit zum Lesen (leider zu wenig!). Einmal in der Woche fahre ich in die Stadt zum Singen. Da sind dann Leute, die früher einer Jugendbewegung
angehört haben. Vor 4(?) Sonntagen hatten wir unser Frühlingssingen im Südpark. Die Umgegend ist nicht ohne. Lichte Wälder, die jetzt in frischem Grün prangen, kann man leicht und lange durchwandern. Endlich hat sich der Frühling ganz durchgesetzt. Wir sind viel später dran als ihr im Westen. Wirst oft in Deiner Nachtruhe gestört? Kannst durchhalten Deinen schweren Dienst? Lieber Dotz, ich wünsche Dir alles Gute. Mit den besten Grüßen bleibe ich
Deine Marianne