Marianne Ivanchich an Willi Büse, 6. Juni 1940

Rochlowitz, 6. Juni 1940

Grüß Gott, Dotz, Grüß Gott, alle zusammen!

Das war mir schon gar nicht recht, daß ich so sang und klanglos von Essen wegmußte. Ich will Euch erzählen, wie es kam.

Am Montag (6.5.) um 10 Uhr erhielt ich den Bescheid in Kattowitz sein. Das traf mich dann wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich nahm Abschied von den Mädchen und Jungen, die ich gernhatte, jeder bekam die Hand, die Mädchen weinten und wollten von nun ab nicht mehr zu Schule kommen, die Jungens bewahrten ???? Haltung. Ein Kind sagte ganz verärgert: "Wat brauchen die doofen Pollaken unser Fräulein." Nachmittags packte ich zusammen und abends fuhren wir los, u. zwa. nicht direkt nach Kattowitz, sondern erstmal heim.

Wir nahmen uns einfach selber Ferien und fuhren nach 14 Tagen über Innsbruck-Wien hierher. Das Beste war, daß keiner was gemerkt hat, dass wir uns verzögert hatten. Freundlich wurden wir empfangen und man gab uns eine Stelle im Umkreis von Kottowitz. Gerade heute vor 14 Tagen besuchten wir das 1 x das berühmte Dorf Rachlowitz (Rahlewitz?), in dem unsere Schule liegt. Das war ein lieblicher Anblick. (.... Zwei Sätze über das Dorf...). Ziegen und Gänse laufen frei herum, die Kinder sind barfuß, ebenso die Frauen. Die meisten sprechen polnisch. In unserer Schule sind 600 Kinder, von denen vielleicht 5 % deutsch verstehen. Ihr könnte Euch denken, was das für ein ???? ist, mit denen fertig zu

werden. Meine polnische Vorbildung in ??? reicht noch lange nicht aus. Zuerst ordneten wir die Kinder nach dem Alter in die Klassen ein, am nächsten Tag wußten die doch nicht mehr, wohin sie gehörten. Mit Mühe und Not hatten wir sie nach einer Woche so weit. Ich habe die ganz kleinen. Es sind nette, lebhafte Kindchen, freilich vom Stillesitzen und Mundhalten haben sie keine blaße Ahnung. (... noch etwas über die Schüler und über den weiten Schulweg...)

Wir ziehen es vor, in der

zu wohnen, weil wir es nicht übers Herz bringen, uns am Schulort anzusiedeln. Wohnung finden ist hier entsetzlich schwer. In Kattowitz sind viele Menschen aus allen Gauen des Reiches. Zum Glück haben wir vorläufig in einer sehr vornehmen Privatpension ein hübsches Zimmer gefunden. Auf die Dauer kommt uns der Spaß zu teuer, dann müssen wir was anderes finden. Oft kehrt man schon an der Haustüre wieder um, ehe man sich weiter zutraut "von wegen der unliebsamen Gäste" die häufig anzutreffen sind.

In Essen war für mich alles wesentlich einfacher und bequemer. In der Fremde muss man sich eben ganz auf eigene Füße stellen. Vielleicht wird sie mir auch einmal vertraut, noch sieht es nicht danach aus. Es geht ja so vielen Menschen gleich wie mir. Alle sind wie Wanderer.

Wo stecken denn all unsere Leute aus dem Kreis? Bitte richte Ihnen allen viele herzliche Grüße aus!

Wie weit seid ihr mit der Arbeit im Kreis? Mir geht Ihr sehr ab, ich wär so gern dabei in Eurer Arbeit, beim Singen und Wandern. Wo wart Ihr zu Pfingsten? War überhaupt eine Fahrt möglich? Zu Ostern war das einfach prächtig. Ich kann mich so recht freuen darüber. Über unsere Eierfahrt(?), bei der man recht(?) schön bitten(?) muß, laufe ich noch oft still vergnügt, über den guten Pfarrer Winkelmann freue ich mich, fein war ja unser frohes Singen, die herrliche Wohnung, halt alles zusammen. Ich kann mir nicht denken, dass ich nie mehr dorthin sollte.

Gelt Dotz, Du schickst mir die Bilder, dann habe ich eine liebe Erinnerung an unsere Gemeinschaft. Denk, in Innsbruck hatte

ich Gelegenheit, mich mit unserem feinen Bischof zu unterhalten. Der ist jung in jeder Beziehung. Er kennt alle die vielen ???, die Euch auch so vertraut sind, wie Altenberg und Marienthal. - Wo steckt die Irmgard? Ich erwarte sie schon sehr als Gefährtin im Berufe. Wer hat Lust, hier Lehrer zu "spielen"? Alle wurden aufgenommen. Das wäre was für den Hugo, dann brächte er es auch noch zu den vielen Ferientagen, die er mir gern aufgezählt hat.

Bitte grüßt H. Kaplan Rönz von mir, alle Bekannten nah und fern, bei Gelegenheit könntest Du den Brief dem Hans schicken, nicht?

Ihr alle aus dem Steeler Kreis seid froh gegrüßt von Eurer Marianne Ivanchich.

Anschrift: M.I. Kattowitz, O.S., Fremdenheim, Rütgerstr. 11