Marianne Ivanchich an Willi Büse, 27. Oktober 1940
Rochlowitz, am Christ-Königsfest 1940
Lieber Dotz!
Das ist nett von dir daß Du mir einen so langen und ausführlichen Brief schreibst. Daß Du mir viel Freude gemacht hast damit, kannst Du Dir denken. Die Briefträgerin bringt die Post an die Schule, so um die zweite Stunde, ich sag dann zu den Kindern "gut, seid's schön still und brav, schreibt Euch was... Aber ich werd beim Brieflesen so viel mal gestört, daß ich mir die Freud doch für daheim aufsparen muß. - Dotz, sei mir nicht böse, daß ich so lange nicht geschrieben habe. Klar hab ich Deinen Sommerbrief bekommen mit den schönen Aufnahmen von Marienthal, die mir so viel Wert sind. Du, ich danke Dir vielmals dafür, was soll ich Dir nur geben dafür?
Denk Dir Dotz, bei uns ist schon der Winter eingezogen. Oft ist es entsetzlich kalt, da bläst ein scharfer Wind. Ich glaube, daß wir hier bestimmt etwas von der sibirischen Kälte zu spüren be-
kommen. Wie ich heute Morgen durch den Schnee zur Kirche ging, da ist mir unsere Winterfahrt nach Marienthal in den Sinn gekommen. S' war eine prächtige Sache. Kalt, aber schön! Und weißt Du, wie ich das Angebrannte vom Reismus mit Wonne aß. Das waren Zeiten! Und wenn wir abends vom Kreis Heimabend(?) waren oder gar mal in die Oper gingen, war das fein. Unser Steeler Kreis ist sehr klein geworden. Daß Ihr aber dennoch weiterarbeitet, ist ein gutes Zeichen. Vergangene Woche hat mir der Hans aus Altenberg geschrieben. Dazu hat er mir die sehr guten Briefe an die Soldaten mitgeschickt. Eine gute Idee, deren Verwirklichung viel Freude gebracht hat und bringen wird. Ich stehe ja auch irgendwie im Außenposten und habe eine Aufgabe zu erfüllen, die ich nicht mehr so hart finde, weil ich ihr etwas schönes und sinnvolles abgewinnen kann. Vielleicht bin ich eben doch ein bisschen "Wandervogel". Ich bin sogar an meinen Schulort gezogen, nach 'Rohlowitz', habe bei netten Leuten ein kleines,
gemütliches Zimmer gefunden. Ich habe vor mir viele Wiesen u. Felder, den Söhrenwald(?), der sich weit dahinzieht, und den ich gern auf verbotenen Wegen durchstreife, weil sie die schönsten sind. Neulich wanderten wir aus unserem Kolloquium zusammen, ganz versteckt und verborgen lag es - überaus reizvoll. Birken standen im (??? Herbst...) da, die Natur leuchtete in warmen, goldenen Farben. Du hättest hier sein sollen um die Schönheiten im Bilde zu bannen. Immer schon hast es (!) verstanden, das Kleine und Verborgene zu sehen. Fein hast Du mir Deine Sommerfahrt beschrieben. Allerhand, nachts über Land zu fahren unter solcher Begleitmusik von oben herab. Viel schönes habt ihr erlebt im Westfalenland, daß der ???(Sanso) viel Spaß gekriegt hat, kann ich mir denken. Grüß mir den Karl recht schön u. den Beatus, den Abbu u. alle anderen! Du hast leicht reden, Du ladest mich ein zur nächsten Fahrt, fein, daß Du mich recht schön bittest. Ich ??? mich das auch gerne. Kommen? Einmal darf, mußt mir ein
bißchen(?) warten und darfst mich nicht vergessen bis dahin.
Dass Du auch wieder im Krankenhaus warst, ist schlimm. (....) Ich habe meine Krankheit gut überwunden. Allerdings habe ich mir ausgerechnet die Ferien dazu gewählt. Du staunst. Ich habe noch sehr feine Exerzitien mitgemacht, die mich in neuen Schwung brachten. Ich finde man muss sich immer wieder von neuem begeistern, ja das Hineinwachsen in das Reich Gottes vollzieht sich immer aufs neue, da darf es nie einen Stillstand geben. Ich habe hier manchmal Gelegenheit, etwas gutes zu hören, im übrigen stehen im ???(21 5??) so feine Sachen drinnen, so daß ich nicht hungern brauche. Daß ich mich freue, von Dir und den anderen zu hören, ist klar. Ich bin halt doch weit weg im fremden Land. Ich grüße Dich, lieber Dotz, herzlich und treu, wünsche Dir alles Gute und viel Freude,
Deine Marianne