Irmgard Vogt an Willi Büse, 31. Juli 1941
Sobersken (?), d. 30.7.41
Sei gegrüßt, Willi!
Ihr habt in Steele schon lange auf Nachricht von mir gewartet. Es geht nicht immer so wie man gerne möchte. Seit meinem letzten Gruß an Dich hat es schon wieder 2 neue Wechsel gegeben. Und das alles immer mit meinem ganzen Sack und Pack. Meine Bücher tun mir am meisten leid. Sie haben schon ordentlich was abgekriegt. Und dabei habe ich nicht einmal die nötige Zeit für sie. Sobald ich eine ??? bekommen kann, werde ich ein ganz Teil nach Hause schicken, um sie vor weiteren Schäden zu bewahren. Das ist so mein kleinster Kummer, den ich im Augenblick habe.
Es gibt hier so unendlich viel Elend, daß man seelisch dabei ganz mürbe wird. Ich muß sagen, daß ich wohl noch nie so müde war in jeder Beziehung wie in der letzten Zeit. Du wirst das am besten an diesem Brief merken; auch daran, daß Ihr in Steele bisher so wenig hört.
- Und dabei habe ich in mir furchtbare Unruhe. Mit meinem Herzen bin ich soweit herunter wie kaum jemals vorher. Neben dem aufreibenden Tun hier ist das wohl die Sorge um so viele, die man jetzt in Rußland weiß. Noch niemals drängte sich der Krieg Tag um Tag so mit aller Unerbittlichkeit in den Vordergrund wie jetzt. Warum so unendlich viel Kriegsleid, so viele zerbrochene junge Menschenleben? Diese Bilder des Schmerzes (ich sah schon zu viele) wird man niemals vergessen können.
Nun schickst Du mir das Botenblättchen von Friedel Kl.
Wir dürfen die Gewißheit haben, daß er in Gottes Land ruht. Es gilt hier nur zu beten. Das Gebet ward kaum ja so dringlich. Wenn ich doch nur immer könnte. Ich muß um viel Kraft und Geduld bitten.
Du wirst inzwischen mit Hilde in Telgte gewesen sein und für unser Hochzeitspaar das echte gefunden haben. Zu gerne möchte ich am 17.8 in Steele sein. Da ich doch 'Ferien' habe - und doch nichts davon merke. Denn es gibt alle Hände voll zu tun bei alle dem Kriegsjammer. Manchmal möchte man glauben, es könnten gar nie Hände genug sein, allein für soviel verwundete gilt es zu sorgen. Wie viele haben schon ihr junges leben geopfert. Wievielen von ihnen wird der Tod das Tor zum Leben geworden sein?
Seit 5 Wochen habe ich von Erich keine Nachricht mehr. Ich bin um ihn in großer Sorge. Zuviel der traurigen Nachrichten sind mir in den letzten Tagen überkommen. Viele Soldaten, die hier oben mir erst für kurze Zeit gute bekannte geworden waren, leben nicht mehr. Der junge Kompaniechef, der mit seiner Fahrkolonne in Brohere(?) im Quartier lag, ist mit ihnen allen vermisst.
So wenig Zeit habe ich, aber vielleicht noch zuviel. Nämlich zuviel Zeit zum Grübeln während der langen Fahrstunden auf dem Rade, womit leider so viel Zeit unnütz hingeht. Manchmal verbringe ich damit den halben Tag. Da spürt man dann doch, daß die unendlich weite Räume uns unter ihr Gesetz zwingen.
"Ich ahne die Stürme die kommen
ich muß sie leben...
Der Staub ist noch schwer
da weiß ich die Stürme schon
nd bin verweht wie das Meer
Und breite mich aus
Und falle in mich hinein
Und werfe mich ab
Und bin ganz allein
in dem großen Sturm." [Rilke]
Wie wenig ich im Gleichgewicht bin mit meinen Nerven, verrät auch dieser Brief. Es ist auch gar kein wichtiger Brief geworden. - Dir wünsche ich, daß Du auf bald wieder ganz gesund bist. Und nun habe noch vielen, vielen Dank für die feinen Fotos von daheim.
Gruß und Heil von
Irmgard
Das Geld ist für Ausgaben, die Du hast. Was fehlt schicke ich noch; Du wirst es mir dann schreiben. (Ich denke gerade an Hans.)