Irmgard Vogt an Willi Büse, 26. Oktober 1941

Kindscherwald (?), am Christkönigstag 1941

Lieber Willi!

Von der ersten Ausfahrt in den Schnee zum hl. Opfer nach Ragnit sage ich Dir viele Grüße. Das war ein rechter Gedenksonntag, dieser Christkönigstag in der Diaspora. Und dazu die ersten Eindrücke der weiten, ostpreußischen Schneelandschaften!

Ihr seid in Steele sicher so langsam an mir irre geworden. Ich könnte das gut begreifen. Das ist auch gar nicht zu verzeihen, daß ich so lange schwieg. (Oder vielleicht doch?)

Ein Brief, den ich vor langer Zeit schrieb, lag noch immer in meiner Mappe. Wenn es auch schon so langsam verjährt ist, will ich ihn doch mitschicken. (Schon der verbrauchten Seite wegen, denn sonst hat er wohl nicht viel Wert: (Ich kam über den Brief damals aus Siegen!)

Mit meiner Gesundheit geht es wieder mächtig jetzt bergauf. Das bleib bei einer so guten Pflege wie ich sie hier hatte auch nicht aus. Meine Wirtin, selbst nicht viel älter als ich, ist mir eine gute Kameradin hier geworden; eigentlich noch mehr als das.

Da meine 'Hauptmedizin' ???, dicke Butter und Honig war, kannst Du Dir denken, daß sie es mit der Zeit fertig brachte, mich rund und dick zu füttern.

Nun aber etwas, worüber Ihr wohl sehr erstaunt, oder enttäuscht sein werdet: Ich bin nicht mehr im öffentlichen Schuldienst. Damals als es mir gesundheitlich noch nicht gut ging, schickte ich einen Antrag auf Entlassung los, weil ich die größte Lust hatte, weiterzustudie-

ren. Jetzt, wo ich so lange krank war, kommt die Genehmigung, nachdem ich lange Zeit in der Sache nichts mehr hörte. Ich hatte auch alle Hoffnung aufgegeben. So bin ich zum 30. September gestrichen worden und bin nun schon ??? Monat arbeitslos.

Ende der Woche geht es nach Suwalki in den zweiten Beruf. Suwalki gehörte vor 1939 zu Polen. Also gehts noch nach Polen. Man soll den Stein nicht zu weit fortwerfen, da man ihn doch wiederholen muß.

Aber meine Lage bessert sich doch ganz beträchtlich. Im Augenblick wäre es mir gesundheitlich auch nicht möglich weiterzustudieren u. vom Arzt bekomme ich auch keine Einwilligung.

Meine Wirtin zieht mit ihren beiden Jungen (6 u. 2 1/2 Jahre) auch mit. Einreisegenehmigung haben wir schon vom dortigen Landesamt, wo der Mann meiner Wirtin arbeitet. Ich werde dort nur deutsche Kinder unterrichten. Die Einwohner von Suwalki sind schon z. großen Teil deutsche u. zwar in leitenden Stellungen: Verwaltung, Bauwesen usw. 5 Katholische Kirchen sind dort. (Pole(?) zwar(?), aber Egidius(?) Wolf aus Köln hält für uns dort Gottesdienst.

Die Stadt ist etwa so groß wie Steele, aber nur 1/4 soviele Einwohner. Landschaftlich soll es schön sein. In der Höhe liegt Augustowo, der ehem. Erholungsort des russisch. Zaren. Und die Hauptsache ist mir, ich bin frei von gewissen Pflichten, Du weißt ja!

Wie geht es Euch in Steele noch? Ich denke, daß es um die Weihnachtszeit ein Wiedersehen gibt. Bis dahin habe herzliche Grüße von

Irmgard

(Ein Stück Weltenbummler steckt doch noch in mir)

(Entschuldige die fürchterliche Schrift, ich bin schon im Reisefieber)

Ich schicke für Dich 20 RM ab. Für Geschenke und persönliche Auslagen für Fotos usw. die Du für mich hattest.