Irmgard Vogt an Willi Büse, 8. Mai 1942

Sudauen, d. 8.V.42

Lieber Willi!

Für Deine lieben und reichlichen Ostergrüße habe vielen Dank. Hab ich mich darüber gefreut! - Wenn einer an vergangene Ostertage zurückgedacht hat, dann war ich es. Wie froh bin ich heute, daß gerade Laach im vorigen Jahr der 'Abschluß' solcher religiösen Fülle in der westlichen Heimat war. - Man vermisst das erst, wenn man in solcher Beziehung so an Hungern gekommen ist. - Es war selbstverständlich, daß ich mir all meine lieben Fotos von daheim in den Ostertagen vorgenommen habe. Und da ließ ich die Gedanken zurückwandern, nach Lage in Schössenburg, die so grundlegend im Sein unserer Gemeinschaft wurden, nach Marienthal und zuletzt nach Laach. - Du selbst hast Dich also diesmal auch nicht ganz von der gewohnten, alltäglichen Umgebung lösen können! Mir ging es nicht anders. Man hatte eine ausge-

dehnte Lehrertagung in der Stadt angesetzt. Von Ferien war also nichts zu merken. - Und in der vergangenen Woche startete für 6 Tage eine praktisch.theoretische Arbeitsgemeinschaft, als Wandergemeinschaft auf die Dörfer des Kreises. Weil es mir Laune macht, schrieb ich Dir auch auf, wo wir waren. [... Auzählung der Orte...]

Nun aber nochmal zu den Aufnahmen. Ja, ich find gar nicht die Worte dafür, wie ich Dir dafür danken soll, wie sehr ich mich gefreut habe. Und darüber hinaus haben die Aufnahmen auch in meinem kleinen Bekanntenkreis viel Freude geweckt. Diese herrlichen Bilder vom ???! - Ich will mich unbedingt mal einen Tag daran setzen, und die paar Negative von hier heraussuchen. Viel ist wohl nicht damit los, aber es sind ja die Werte der Erinnerung und des Mitteilens. Schon so oft

habe ich mir das vorgenommen, sonst wäre dieser Brief an Dich schon eher gestartet. Nun zwar doch noch ohne die Negative.

Lieber Willi! (20.5.1942)

Dieser Brief brennt mir geradezu auf der Seele. Ich überlegte auch erst, ob ich diese Blätter Dir überhaupt schicken soll. Einen ganzen neuen Brief wollte ich anfangen; erst schon der scheußlichen Bogen wegen. Aber ich bekam auch inzwischen keine anderen. Dann aber vor allem weil sie liegen, schon so lange, wie alte Semmeln, die nicht mehr schmecken wollen. Ich habe dennoch weitergeschrieben. Du solltest doch wenigstens sehen, dass immerhin der Gute Wille da war....

Jetzt steht Pfingsten vor der Türe. Der Schöpfergeist kündet sein Ankommen tatsächlich mit Sturmesbrausen. Unruhe in allen Fugen, Offensivvorbereitungen mit allem Drang

und Sturm, wie im vorigen Jahr.

Und dennoch sei und Pfingsten!

'Sende aus Deinen Geist und Welten erstehn, und das Antlitz der Erde wird neu!'

Die Natur holt mit Macht ein, was versäumt war - Gräser und Sträucher zeigen vorsichtig das erste junge Grün. Draußen vor der Stadt blühen die Leberblümchen. (Vorwitzerchen?) nennen sie die Kinder. - Wie ist man jetzt dankbar für jeden warmen Sonnenstrahl. In od. doch nach den Feiertagen wird es wohl zu einem Treff mit meinem Bruder kommen, der zur Ausbildung in Königsberg liegt. Wir sind nur 5 Bahnstunden voneinander entfernt. Für den Osten zählt das überhaupt noch nicht zu den "Entfernungen", wenns auch 270 km sind. - Ob Du Dir vorstellen kannst, wie ich mich darauf freue? Wer weiß, wie lange wir noch so lange beisammen sind. Allzuschnell winkt der weitere Osten. Vom Heribert ist die Spur nach den letzten Angriffen auf Rosdock verloren. Ob er überhaupt noch eine Bleibe hat? - Dann wandern die Gedanken zu unseren Brüdern aus der Gemeinschaft. Wie es den einzelnen wohl geht. Wir wollen ganz festes Vertrauen haben u. die pfingstliche Haltung des Bereitseins üben. Für was wir uns bereitshalten müssen, wollen wir getrost seiner Führung überlassen! Dir u. den Mädchen, die noch daheim sind nun meine besten Grüße aus der Ferne,

Irmgard