Irmgard Vogt an Willi Büse, 19. Februar 1943

Sudauen, d. 19.II.43

Lieber Willi!

Es sieht bald so aus, als müßte man erst einmal krank werden (od. besser: gewesen sein) um zum Schreiben zu kommen. - Gott Dank, ist das schlimmste wieder überstanden. Meine alte Herz- und Nervengeschichte hatte mich wieder ordentlich gepackt. Und ich war nur gute 2 Wochen nach dem Urlaub im Dienst - bis es dann nicht mehr ging. Das Urteil des Arztes war so deprimierend, daß es mir wohl noch den Rest gab. Ich soll meinen Beruf aufgeben, da er für mich nur immer wieder schwere gesundheitliche Schädigung wird. Was das für mich bedeutet hat? Ein langer Kampf stand dahinter, bis ich mich zu dem einzig in-

frage gekommenen Entschluß durchgerungen hatte: Antrag auf Entlassung aus dem Schuldienst. Ich mußte ihn stellen, denn der Arzt hatte auch ein entsprechendes amtsärztliches Zeugnis an die Regierung geschickt. Es muß sehr 'Dickes' darin gestanden haben, Versiegelt ging es an meine Schulbehörde (üb. den Dienstweg an die Regierung), denn bald darauf machte mir der Schulrat, der mir einem Besuch machte (Er ist mein Nachbar!) die Andeutung, daß mir wohl gelingen werde, was so viele sich wünschen: ein Freikommen aus dem Schuldienst.

Ich muß sagen, dass ich mich gar nicht mal darüber freuen konnte. Für mich stand die Tatsache wie ein Gespenst dahinter, daß ich evtl. an einen Berufswechsel denken muß. Ich stehe dann einfach vor dem Nichts. Die Sache hat

schon ihr Doppelgesicht. Einerseits käme ich da aus den Klauen des Unfreiseins u. auch aus dem Osten heraus. Andererseits eben das Dunkel neuer Ungewißheiten.

Entschuldige, Dotz, daß ich soviel von mir schrieb, und erst jetzt dazu komme Dir - auch besonders im Namen von Frau Kammerer - ganz vielmals zu danken für die feinen Abzüge. Wieviel Freude haben sie ausgelöst! Du kannst Dir kaum vorstellen, wieviel Sonne sie in den hier immer noch scharfen Winter gebracht haben: Erinnerungen an gute Sonnen - u. Herbsttage - und wieder Vorboten für solche!

Ihr habt ja jetzt wohl schwere Tage in der Heimat. Viel müssen wir an Euch denken. Auch auf uns lastet eine dumpfe schwere Atmosphäre, die von Osten kommt.

Könnte man nur in diesen Woche den Blicken der Polen ausweichen!

Vom Heribert fehlt mir schon lange Nachricht. Zuletzt wußte ich ihn im Kaukasus. Franz-Josef ist noch im mittleren Frontabschnitt und wartet sehr auf die Fotos, die ich schon sehr lange auf den Weg gab.

Vom Erich kam Post aus Augsburg. Er schrieb, daß es dort weiter geht mit Sonderausbildungen. Für den 20./21. wollte er Urlaub nach Aschaffenburg einreichen. Ich möchte sehr wünschen, daß es ihm gelingt.

Sonst heißt es jetzt für mich, die Dinge abzuwarten. Vielleicht, daß ich bald mit Euch wieder westliches Schicksal teile. So oder so will ich es für mich von Gott als Heilsprüfung nehmen.

Es läuft für mich ein Antrag bei der Kurverwaltung Bad Nauheim. Es wird wohl bald dorthin gehen. Ich erwarte jeden Tag Nachricht deshalb. Hoffentlich komme ich von da als 'neuer' Mensch wieder. Nun noch einmal recht vielen Dank für alle Freude die Du uns machtest und für den lieben langen Brief.

Irmgrad

Was macht Philipp? Wo steckt er? - Grüße bitte an Deine Eltern.

(Entschuldige bitte das Geschreibsel! Noch habe ich die Glieder schlecht in der Gewalt!) Irmgard