Dechant Pauen an Frau Kranz, 13. Mai 1942
Waldenrath, 13. Mai 1942
Sehr geehrte Frau Kranz!
Heute fällt mir Ihr Brief vom 10. Okt. wieder in die Hand; ich hatte immer vor, ihn zu beantworten u. ich bin ganz reuezerknirscht, daß es nicht eher geschehen ist. Aber zur Entschuldigg. darf ich anführen, daß mich im Oktober die Geheime Staatspolizei, die sich meiner schon 6-7 mal liebevoll angenommen hat, mich verhaftete u. nach Aachen schleppte ins Gefängnis. Da kein Platz in demselben war, wurde ich aber freigelassen, andern Tags 4 ½ Stunde verhört, über ein staatsgefährliches Verbrechen; ich hatte nämlich an 70 Soldaten, meine Pfarrkinder, einen tröstlichen u. ermahnenden Pastoralbrief geschrieben, was von hinterlistigen Pfarr-
kindern angezeigt worden war. Nachdem man mir die Nichtsnutzigkeit solchen Tuns klar zu machen versucht hatte, erhielt ich eine Verwarnung mit Androhung von Freiheitsstrafe bei der nächsten Verfehlung u. 800,- M. Geldstrafe. Nachdem ich früher oft mich freimütig über Zeitereignisse geäußert hatte, bin ich jetzt vorsichtiger u. verschließe meine Urteile in mein Herz.
Sie erkundigen sich liebenswürdiger Weise nach meinem Befinden. Ja, der liebe Gott machts sehr gnädig mit mir. Seit dem 17. Jan. stehe ich im 81. Lebensjahre; ich kann, Gott sei Dank meiner Pfarre noch vorstehen; mein Amt als Dechant habe ich niedergelegt, da es zu viele Reisen erforderte, was im Alter nicht gut tunlich ist; ich bin aber Ehrendechant, ein Titel ohne Mittel u. ohne Bedeutung; nur ein Schemen, und für eitle Leute ein Bluff. Lieber ist mir, daß ich als Pastor - mit Hilfe eines frischen Kaplans - meine liebe weit ausgebreitete Pfarre noch vom alten
und betreuen kann. NSDAP macht uns hier allerhand Schwierigkeiten; aber auch das überwinden wir; denn wir haben dem Herzen Jesu ein Gelöbnis gemacht (die ganze Pfarre), nämlich das Herz-Jesu-Fest auf 100 Jahre als Fest 1. Klasse mit Arbeitsruhe, Festgottesdienst u. gem. hl. [..] der Pfarre zu feiern. Seitdem hat uns noch kein Kriegsunheil getroffen, auch keine Bombe, obwohl tausend Flieger über uns dahergeflogen sind. -
Ich habe mich sehr gefreut, von Ihrer Familie etwas zu hören, bes. daß Sie 4 Söhne haben, darunter einen Theologen. So hat Gott Ihren guten Willen belohnt und gezeigt, daß Sie auf dem rechten Wege sind. Priesterberufe sind uns für die kommenden Jahre so nötig, und ein Kind für die Kirche und den Dienst Gottes herzugeben, ist eine Gnade u. Segen für die ganze Familie u. Verdienst für die Ewigkeit.
Und so stelle ich Sie mir vor, als eifrige betagte Mutter, berufsfreudige Gattin, die in der sorge für die Ihrigen, immer
Zufriedenheit u. reiches Glück gefunden hat u. findet. Die Nöten der Zeit tragen wir in vollkommenem Gottvertrauen und in der Zuversicht, daß das hl. Herz Jesu auf die Fürbitte Mariä die verdienten Strafen unseres Vaterlandes mildern wird. Auch hoffe ich, daß bald ein Umschlag für die hl. Kirche kommt, und mir nach dem Ende des Krieges eine neue vorhergesagte Blüte der Kirche erleben werden.
Gerne schließe ich Sie in mein Gebet ein. Donnerstags mache ich immer eine Memento für meine geistlichen Söhne u. Töchter.
Ich segne Sie und die lieben Ihrigen! Möge das Hl. Herz Jesu Sie wachsam lassen in Gottesliebe u. aller Tugend.
Ich bin mit herzlichem Gruße in freundschaftlicher Verbundenheit stets
Ihr Dechant Pauen