Herbert Weise an Gisbert Kranz, 5. Juni 1940

E.-Steele, d. 5.6.40.

Lieber Gisbert!

Dir den versprochenen Brief endlich zu schreiben, muss ich ein Stück von meiner nicht nur „traditionellen”, sondern notwendigen Mittagsruhe stehlen. Ich habe nämlich Sonntag morgen Eröffnung der Ausstellung des Malers Schäfer (übrigens ganz tolle Bilder, etwas für Dich), auf der ich mit einem Mädel (Cello) u. einem and. Jungen (Geige) zusammen 2 Sätze aus einem Klaviertrio von Beethoven spiele, woran wir schon ungefähr 3 Wochen üben. In 4 Wochen findet innerhalb dieser Ausstellung, die allerdings später ihr Gesicht etwas wandeln wird, indem sie z. T. Schülerausstellung von ganz fantastisch begabten Jungen wird, eine Morgenstunde „Von deutscher Art” (einmal ohne Fanfaren u. N.-S.-Krach auf die künstlerische) statt, in der gespielt, wahrscheinlich auch gesungen u. gesprochen wird. Ausserdem führe ich mit H.-J.-Chor u. -Orchester in 14 Tagen in [..] für das Rote Kreuz innerhalb der „Musikwoche des R. K.” eine Abendfeier „Kunst ist Weltanschauung” durch, für die ich noch wahnsinnig viel Arbeit haben werde (u. schon gehabt habe).

Du siehst also, ich habe mal wieder viel zu viel zu tun. -

Sonst kann ich von mir herzlich wenig berichten, da ich nichts anderes mehr tue, höchstens, dass ich inzwischen 19 Jahre alt geworden bin u. aus diesem Anlass mir eine Reihe farb. Insel-Bändch. habe schenken lassen, u. dass ich übermorgen gemustert werde. Na, ich bin gespannt -

Und nun, lieber Gisbert, muss ich leider schliessen, gerade ist wieder so ein leidiger Schüler gekommen, u. ich muss mal wieder unterrichten. Sicher, man strengt sich dabei an, aber wenn mans so überlegt, was tut man nicht alles, um Geld zu verdienen?!

Also lass bitte recht bald etwas von Dir hören; viele Grüsse u. alles Gute
Dein Herbert.