Herbert Weise an Gisbert Kranz, 14. Juni 1941
Hannover, d. 14.6.41.
Lieber Gisbert!
Vielen Dank für Deinen Brief. Ich beklage mich absolut nicht über deinen agressiven Ton, ich habe bloss festgestellt, dass Dein vorletzter Brief mal wieder besonders typisch war, besonders der ironische Anfang, mit dem Du so ohne jede Einleitung mitten in die Sache hineinsprangst. Böse bin ich Dir deswegen nicht. Im Gegenteil, es ist auch meine Absicht, dass hier scharf getrennt werden muss.
Meine Gottesvorstellung nennst Du verschwommen. Allerdings, von Deinem Standpunkt aus muss es so aussehen, dass man an diesen Gott nicht glauben, ihn nur ahnen kann. Aber in wem dieser Gott lebt, der kann nicht nur daran glauben, nein, er muss es, er weiss um ihn; das ist das „Wissen, das der Glaube schafft”, von dem ich in meinem kleinen Essay sprach, das ich übrigens heute schon wieder anders formulieren würde. Du unterstreichst in Deinen Ausführungen zu Guardinis Buch den Ausdruck: lebendiger Gott. Lässt denn die Schau, in der ich Gott sehe, vermuten, das sei ein toter Gott, ein
Fetisch? Ich glaube doch nicht! - Den Eindruck, dass der christliche Gott ein Philosophler sei, habe ich aus Deinen bisherigen Briefen nicht bekommen, denn wir mussten uns ja zunächst auf philosophischer Grundlage verständigen, wenigstens die herkömmlichen philosophischen Begriffe anwenden. Ich möchte aber mit Nietsche in der (16 Jahre später geschriebenen) Vorrede zu der „Geburt der Tragödie” feststellen, dass man eben für neue Erkenntnisse eine neue Sprache finden muss, dass es dem Neuen nur schadet, es garnicht im rechten Lichte erkennen lässt, wenn man es in überkommene Kategorien hineinzwängt. Und daraus ergibt sich, dass wir heute anfangen, die engen philosophischen Begriffe mit neuem, weiteren Inhalt, vor allem mit Leben zu erfüllen und sie so zu gebrauchen, wie es uns unser neues Sein vorschreibt. - Wenn Gott Persönlichkeit ist (bzw. sein soll), so ist er meiner Ansicht nach durch seine bis zu Absoluten gesteigerten menschlichen Eigenschaften uns auch unerreichbar fern gerückt, zumindest ferner, als wenn ich ihn erlebe als allgegenwärtiges und allbeseelendes Wesen, so wie er in mir lebt. Es ist eben ein Unterschied zwischen Mythos und Religion (im engeren Sinne)! -
Der Kommiss muss Dich ein wenig geändert haben, sonst kann ich mir trotz allem nicht Deine Begeisterung für den Soldatenstand begreifen. Ich kann wohl einen gewisse Aufgabe darin er-
blicken, aber ein Ethos.......? Nun, nichts für ungut. Ich wünsche Dir allen guten Erfolg. Sei recht herzlich gegrüsst von Deinem Herbert.