Willi Krause an Gisbert Kranz, 19. Januar 1947

Düsseldorf, den 19.1.1947     (E 2.2.47 - B 5.2.47)

Lieber Gisbert!

Dank Dir für Deine Karte vom 6.12.46. Wir haben noch immer Ferien, weil wir wegen Kohlenmangels nicht in Bonn beginnen können. In 14 Tagen geht's aber auch für uns wieder los. So gerne ich auch Ferien habe, so freue ich mich doch auf den Wiederbeginn. Der Kasten atmet doch eine andere Luft als die übrige Welt. Wenn wir auch dort unser Teil von der Not der Zeit zu tragen haben, so spüren wir doch nicht alle die üblen Begleiterscheinungen in dem Ausmaß wie in der Welt draußen. Es ist so, als wenn wir auf einer stillen Friedensinsel lebten, an deren Ufer die Brandungswellen einer aufgepeitschten See sich brechen. Wir hören ihr donnerndes Rollen und fühlen auch den Wogenschlag, wenn wir uns dem Ufer nahen. Anhaben aber kann er uns nichts. Wir leben in einer anderen Welt. Statt des Hasses und Neides sehen wir um uns Liebe und Fürsorge. Das wirkt sich natürlich auch auf unser Seelenleben aus. Und wenn auch hier und da einmal harte Worte fallen, so tut das dem Ganzen wenig Abbruch. Und war mir der Kasten wert macht, ist das Studium. Wir sind alle noch zu unfertig, um draußen helfend überall da eingreifen zu können, wo wir darum angegangen werden. Und doch sind viele von uns zu Hause eingespannt als ob wir schon „fertig” wären. Viele arbeiten in der Jugendführung. Ich selbst habe da einen ganzen Haufen Arbeit. Neben den Heimabenden in verschiedenen Gruppen darf ich Kommunion und Beichtunterricht halten, muß mit Meßdienern und Vorbetern üben und habe daneben noch Jugenddiakonat und Führerring. Es ist schwer, für alle die jungen Menschen immer den rechten Ton zu finden und das rechte Wort zu sprechen aus der Tiefe des Herzens heraus. Zu schnell gibt man sich leer, wenn man „doziert” anstatt zu reden mit Mund und Seele. Dazu kommt noch die

Schwierigkeit, daß die Zeit uns Probleme stellt, über die wir uns selbst noch nicht klar sind und auch nicht sein können. So gewinnt alle Arbeit den Schein des Theoretischen. Und diesen Schein gibt es zu meiden. Doch genug davon.

Willst Du nicht allmählich daran denken, Deine englischen Gefilde mit den leidgeprüften und mit Unrecht besäten deutschen zu vertauschen?

Für heute grüße ich Dich mit frohem Herzen und wünsche Dir alles Gute und viel Freude.

Oremus pro invicem!

In Treue
Willi

Willi Krause
22a D'df-Unterrath
Kalkumerstr. 5