Franz-Josef Greis an Gisbert Kranz, 7. Mai 1939

Franz Josef Greif. 35-36 Führer der ND-Gruppe Steele. 36 Eifelfahrt. 39 stud. med. Marburg.

 

Marburg, den 7.5.39

Lieber Gisbert!

Gerade habe ich Paul Vogt, dem Soldaten und Anton Kneißl, dem Theologen aus Bayern, den ich im Arbeitsdienst kennenlernte, einen langen Brief geschrieben. Da fielst Du mir ein und da mir Hans Effing zufällig Deine Adresse gegeben hat, brauchst Du Dich also nicht zu wundern, wenn Du von mir ein paar Zeilen bekommst. Du siehst, daß ich als Student der Medizin sogar noch zeit habe, etliche Briefe zu schreiben, wenn es auch am Sonntagmorgen ist.

Du hast ja jetzt schon 4 Wochen herum, bist also schon fähig, einen vernünftigen Gruß hinzulegen und Dich vor der und in der bürgerlichen Umgebung zu bewegen. Das ist schon viel wert. Wenn Du dazu noch einen einigermaßen zackigen Griff kloppen kannst, darfst Du ruhig stolz sein auf das, was Du gelernt hast. Wenn ich so an meine Jugend zurückdenke, wo ich im Arbeitsdienst war, dann muß ich immer wieder sagen, es war schön. Schön, trotzdem ich mit meinem Zugführer, einem kleinen frechen Feldmeister ewig auf Kriegsfuß stand, trotzdem wir die Herren Vormänner am letzten Tag noch mit „Sie” anreden mußten, trotzdem mich einer von diesen mal angeschwärzt hatte, sodaß ich ihm 4 Wochen Ausgangssperre und noch viele andere Sachen zu verdanken hatte. (Ich hatte sogar einmal die Ehre, die Latrinen (Zwölfzylinder) zu entleeren, daß ich noch 8 Tage später danach stank.) trotzdem wir die anstrengensten Märsche gemacht hatten, daß ich manchmal glaubte, das hältst Du nicht durch. Ja, trotzdem war es schön und vielleicht gerade deshalb, weil man

so unmenschlich viel von uns verlangte. Ich habe dabei von unserer Arbeit noch garnicht gesprochen. Weil ich da etwas leisten mußte, weil ich da erkannte, daß man viel mehr aushält als man selbst glaubt, deshalb bin ich heute so stolz auf diese Zeit und sage, sie war schön. Wenn man allerdings da mittendrin steht, kann man das nicht gerade behaupten. Da gibt es wohl neben der grauen Alltäglichkeit ab und zu mal schöne Momente, die man auch nie vergißt. Bei uns waren das die Lieder und die Singstunden. - Ihr bekommt doch sicher Pfingsten Heimaturlaub. Das war auch für mich der schönste Urlaub. Später beim Kommiß bekamen wir ja viel häufiger Urlaub und da wurde das schnell zur Selbstverständlichkeit. - Du hast Dir übrigens eine prächtige Gegend ausgesucht, das ist doch eine Entschädigung für vieles. Ich fühle mich hier in Marburg sehr wohl. Es kann kaum ein ruhigeres und gemütlicheres Städtchen zum Studieren geben. Und so etwas habe ich nach dem lauten Leben beim Militär gesucht. Hier kann ich mich langsam wieder auf die vorwiegend geistige Beschäftigung umstellen, was wirklich nicht so ganz leicht ist, wenn man 2 Jahre garnichts mehr getan hat. Aber es wird mir sehr viel erleichtert erst einmal durch meine angenehme Bude und der damit verbundenen Wirtin, durch meine Kameraden, die ich von der Schule u. Militär her schon kannte durch Franz Josef Lehnhäuser und nicht zuletzt durch das Städtchen selbst mit seiner reizenden Umgebung, die ich mir sehr bald gründlichst ansehen werde, sowie es wärmer wird. Deshalb werde ich auch Pfingsten nicht nach Hause fahren, sondern die ersten freien Tage nach langer Unterbrechung wieder mal für eine kleine Fahrt ausnutzen.

Dir wünsche ich alles Gute und grüße Dich mit einem alten, zackigen Heil!
Franz Josef