Marga Broil an ihren Mann August, 22. Juli 1944

Wir sind nur Gast auf Erden
und wandern ohne Ruh'
durch mancherlei Beschwerden
der ewigen Heimat zu.

Samstag, den 22. Juli 1944.

Mein lieber August,

an den Anfang dieses Briefes setze ich die Worte des Liedes, die wir bei der Gedächtnisopferfeier in St. Georg mit der Gemeinschaft gesungen haben. Wieder ist einer aus unseren Reihen zur ewigen Heimat abberufen worden: Erich Mendler. Ich mußte in diesen Tagen oft an die bei Klüppels gemeinsam verlebten Stunden denken, die Lieder die er mit so viel Begeisterung gesungen hat; an unser Gespräch auf dem Wege vom Dom zur Krypta am Weihnachtsabend; an das Bild seines inneren Menschen, das mir aus seinen vielen Briefen entgegenstrahlte, die ich gerade in letzter Zeit von ihm gelesen hatte. Kpl. Angenendt trauert um ihn wie um einen Bruder und sprach mir von den Erwartungen, die er für die Jugend an sein Leben gestellt hat. „Der Herrgott durchkreuzt alle unsere Pläne, er will wohl alles alleine machen, da Er uns solche Menschen so früh abberuft.” Wie oft schon sind wir in der letzten Zeit durch das Ereignis des Todes eines jungen Menschen aus der Gemeinschaft vor die Notwendigkeit gestellt worden, uns mit dem Tod geistig auseinanderzusetzen. Das menschliche Planen und der kreatürliche Schmerz hindern noch so sehr daran jene Einstellung zum Tod zu gewinnen, die wir auf Grund unseres Glaubens, wenn er uns wirklich zutiefst innerer Besitz geworden ist, haben müßten. Gewiß, die echte Trauer um den Tod lieber Menschen ist etwas so selbstverständliches und woltuendes

in der Beziehung untereinander, und so wäre uns der Herr in seinem Leben menschlich näher gekommen als da, wo wir von seiner Trauer, ja seinen Tränen um den toten Freund Lazarus erfahren. Eine solche Trauer ist mit unserer christlichen Einstellung zum Tode durchaus vereinbar. Aber müßten nicht die meisten Toten ihren zurückgebliebenen Lieben mit dem scheidenden Heiland mahnend sagen: „Warum seid ihr traurig, da ich Euch gesagt habe, daß ich zum Vater gehe. Wenn ihr mich lieb hättet würdet ihr Euch freuen, daß ich hingehe.” Eine solche Haltung setzt freilich eine Liebe voraus, die mit Maßen nicht mehr zu messen ist, die über das eigene Ich, sein Wünschen und Sehnen, sein Glücklichsein und sein Trauern ganz hinwegsetzt und nur das Heil, das wahre, wirkliche, letzte Heil des Geliebten, die Erfüllung seines Daseins in der Vollendung des ewigen Lebens im Auge hat.

Mein lieber August, ich habe Dir schon öfter davon gesprochen, daß mir das Leid der Menschen um den Tod ihrer Lieben noch nie so nahe gegangen ist als jetzt. Wie tief habe ich den Schmerz der kleinen Anneliese, von Maria Tillmann und Hans Schnell's Mutter mitempfunden, zumal bei den beiden ersten die gleiche Situation gegeben war wie bei uns, die Freude der Erwartung des neuen Menschenkindes; die Hoffnung auf das Glück des gemeinsamen Lebens, die um so jäh zerstört wurde. Da habe ich über das Wort: Wenn ihr mich lieb hättet, so würdet ihr euch freuen .... oft nachdenken müssen. Es ist wahrlich das größte Opfer, das der Herrgott von einem Menschen fordern kann, die Hingabe und Rückgabe des geliebten und geschenkten zweiten Ich an Ich, es ist

aber auch vielleicht eines derjenigen, die die größte Sühnekraft, die schönste und schwerste Möglichkeit zur Verherrlichung Gottes in sich schließt, wenn das Herz stark genug ist es in der rechten Gesinnung zu bringen. Um diese Kraft, für die menschliche Kraft nicht ausreicht, für die schwer geprüften Zurückgebliebenen zu beten, erschien mir oft ebenso Gebot der Stunde zu sein wie das Gebet um die Seele des Verstorbenen selbst.

Mein lieber August, neben dem Erleben der Freude, das wir in unseren Briefen gemeinsam verkosten, sind es zuweilen auch recht ernste Gedanken, die wir zueinander tragen. Aber das ist es ja gerade, was uns so sehr beglückt, daß unsere Gemeinsamkeit beides zu tragen fähig ist, daß sie aus beidem jedesmal schöner und größer hervorgeht. Und mir geht es immer so, wenn ich im Briefe zu Dir komme, daß ich Dir einfach von dem schreiben muß, was mich gerade am stärksten bewegt oder beeindruckt. Manchmal ist es nicht nur das geistige Produkt der betreffenden Stunde, sondern das Ergebnis dessen, was meine Gedanken vielleicht schon tagelang beschäftigt hat. Erst wenn ich fähig bin, Dir davon zu schreiben, finden solche Gedankengänge in mir einen Abschluß, der für mich - ich möchte fast sagen wie eine Befreiung wirkt. Wenn ich so jetzt mit allen Dingen zu Dir komme, so geschieht das aus einer inneren Notwendigkeit heraus, die garkeine Bedenken mehr dagegen aufkommen läßt. Ach Liebster, und wenn Du dann zuweilen die Möglichkeit hast auf meine Gedanken einzugehen, wie Du das in Deinem letzten Brief v. 8.7. getan hast, so ist mir das eine ganz besondere Freude. Ich weiß ja, daß Dir die äußeren Umstände nicht

immer Gelegenheit dazu geben, umso mehr freue ich mich, wenn es doch einmal geschieht. Ja und ich spüre immer ganz gut, aus welcher Situation heraus Deine Briefe geschrieben sind, das gibt immer ein so schönes Entdecken und eigentlich birgt jeder Brief einen besonderen Grund der Freude für mich in sich. Ob er nun aus der stillen, besinnlichen Stunde heraus geschrieben ist, die Du Dir durch das Alleinsein im Fahrerhaus des Wagens bereitet hast, von irgend einem grünen Fleckchen draußen in Gottes herrlicher Natur, oder ob Du mitten im Getriebe des Dienstes, der Dich immer wieder unterbricht, ein liebes Wort an mich richtest, immer sind mir Deine Briefe Freudenbringer, nach denen ich sehnlich Ausschau halte und von denen ich wieder lange Tage des Wartens zehren kann.

Es ist Samstagnachmittag. Draußen geht nach den schönen Sonnentagen wieder ein starker Regen nieder, dann fühlt man sich in unserem lieben Heim doppelt geborgen. Den Abend der Woche kann ich jetzt nicht mehr, wenigstens äußerlich nicht, in der gewohnten Weise in unserer Krypta begehen. Was hätte mir sonst dieser Verzicht gekostet, aber nun, da es um unser Kindlein geht, fällt es mir garnicht schwer. So geht es mir mit allen Veränderungen und kleinen Einschränkungen der gewohnten Lebensweise, die das wachsende Leben unseres Kindleins erfordert; sie werden mir kaum als Einschränkung oder gar Verzicht bewußt, es ist mir alles nur ein freudiges Dürfen, und was täte ich nicht gerne um mich dieses großen Geschenkes dankbar zu erweisen! Ja, mein Liebster, wir haben allen Grund froh und dankbar zu sein und wissen uns in dieser Freude ganz ein

Dein Marga.