Theo Hoffmann an seine Freundin Rosa, 3. November 1941

Hof Stöcken 3.XI.41

Liebes Röschen

ich wandere traumverloren und trunken durch diese wundervolle Mondnächte auf gottverlassenen Wegen unter dunklen Tannen und sich entlaubenden Wäldern, über Höhen mit einem unbeschreiblich weiten Talausblick, an schlafenden Bauernhäusern vorbei, wandere mit dem Mond bis zum Morgen, bis der Schlaf mich übermannt, und schaue ihn an, das Ebenbild unserer Erde, der einsam, traurig und glücklich in diesem lichten, sich langsam verdunkelnden Blau wandert. Und der Duft sterbenden Laubes ist er nicht so durchdringend süß wie der der Rosen in ihrer letzten Reise?

Der Prolog zu der Elegie „Brot und Wein“ entsteht mit aller Macht vor meinem inneren Bewusstsein, strömt über die Lippen, spricht sich. O Zeit , o Ewigkeit. Und dann weiter:

„Ja, es ziemet sich Kränze zu weihen und Gesang,“ - ihr der Nacht -
„weil den Irrenden sie geheiligt ist und den Toten ,
Selber aber besteht, ewig, in freisten Geist.
Aber sie muss uns auch, dass in der zaudernden Weile,
Dass im Finstern für uns eigenes Haltbare sei,
Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen,
Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden sei,
Schlummerlos, und vollern Pokal und kühneres Leben,
Heilig Gedächtnis auch, wachend zu bleiben bei Nacht.“

Und weiter:

„Drum! Und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn,
Wenn er in heiliger Nacht plötzlich den Sänger ergreift.“

Und vorher:

„Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht,
Aufzubrechen. So komm! Dass wir das Offene schauen,
Dass ein eigenes wir suchen, so weit es auch ist.
Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe
Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maß,
Allen gemein, doch jeglichem auch ist eignes beschieden.“

Werden wir, werde ich diese Mitte finden? Bei allem Zynismus, bei aller Ironie, die die wahren Tiefen verdecken will und die seichten (---) will, légerte, die das äußere Leben (---), um die andere, (---) Welt zu schützen. Wann wird diese andere Welt unser Leben so beherrschen, dass wir Größe besitzen?

O, warum sättigen mich diese Nächte, dieser weiße Mond vor dem friedlichen Gewölk, nicht jetzt schon so, dass die Erinnerung mich nicht mehr traurig macht?

Hölderlin, der Unbegreifliche , der Unvergleichliche, hat das alles erfahren:

„Doch einigen eilt
das schnell vorüber, andere
behalten es länger.
Die meinigen Götter sind
Voll Lebens allzeit; bis in den Tod
Kann etwa ein Mensch auch
Im Gedächtnis doch das –behalten:
dann erbebt es das Höchste

Drum hat ein jeder sein Maß
Denn schwer ist zu tragen
Das Unglück, aber schwerer das Glück.
Ein Weiser aber vermocht es,
vom Mittag bis in die Mitternacht
und bis der Morgen erglänzte
beim Gastmahl helle zu bleiben.“

Wird das Schicksal die Vollendung gönnen, “dass willig mein Herz, vom süßen Spiele gesättigt, dann mir sterbe.“

O diese Nächte, wie lieblich sind sie, wie berauschend, welch eine Nacht, in ihr den Tod der Vollendung zu sterben.

Der Deinige

Theo

Von Friedrich Hölderlin (1770-1843) in: Brot und Wein
Hölderlin: An die Parzen:
„Nur Einen Sommer gönnt,ihr Gewaltigen!
Und Einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättigt, dann mir sterbe.