Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 17. Dezember 1943

17.XII.43

Liebes Röschen,

ich hoffe, dass Du meine letzten größeren Briefe von Ende Oktober sicher erhalten hast. Die Postverhältnisse im Osten wie im Reich sind augenblicklich sehr schlecht, nicht zu verwundern, von Dir habe ich auch seit drei Wochen keinen Brief mehr in den Händen. Möge es Dir recht gut ergehen!

Mit mir sind einige Veränderungen vor sich gegangen, die ich verschiedenen

[---] Umständen zu verdanken habe, ein Wechsel, der mir zunächst gar nicht recht glaubhaft vorkam. Es soll angeblich noch gültig sein. Du weißt, ich bin da doch skeptisch – also, ich bin als planmäßiger Chirurg zur Division versetzt. Man erklärte mir, es sei unter den heutigen Verhältnissen unverantwortlich, dass Fachkräfte so weit vorn eingesetzt seien, besonders bei Schützenregimentern, wo ich war, wo man immer in erster Linie, zuweilen auch vor diesen eingesetzt ist – einmal galt ich ja schon bei der Division als vermisst. Möge man nur bei solch einer an sich guten und vernünftigen Meinung bleiben, was heute wahr ist, braucht ja morgen nicht mehr wahr zu sein, beim Militär ist ja alles möglich und alles unmöglich.

Es gibt natürlich auch jetzt Intrigen, man sucht sich zu retten, jeder ist darauf bedacht, seine Haut so weit wie möglich in Sicherheit zu bringen. Ich glaube nicht, dass man mich wegen meiner schönen Augen als Chirurg zum Hauptverbandsplatz versetzt hat, aber es fallen zu viele Ärzte aus, es bleiben à la longue nur junge, unausgebildete Ärzte übrige, die man jetzt versucht en masse aus dem Boden zu stampfen, die aber für entscheidende Aufgaben nicht ausreichen. Mein Nachfolger

es sind jetzt 10 Tage her - vorher Truppenarzt bei den Panzern - war wenig entzückt. Das Risiko bei den Panzergrenadier-Regimentern ist natürlich bedeutend höher, sie liegen immer an äußerster Front und haben die größten , ganz unverhältnismäßig größten Verluste. Nebenbei wird er gleich am dritten Tag verwundet und befindet sich auf dem Wege zur Heimat. Sein Nachfolger, ein etwas älterer Stabsarzt, war schnell mit den Nerven herunter und wurde abgelöst, jetzt soll ein junger Unterarzt dort sein.

Noch einen Monat und ich hätte sicher mein E.K. I. erhalten, bei dem dauernden Wechsel der Kommandeure, die auf einen aufmerksam wurden, kam es nur zur Einreichung. Das Panzersturmabzeichen soll für mich auf dem Marsch sein – Du weißt, Röschen, was ich von Abzeichen halte und was ich im allgemeinen über alle Dekorationen denke – aber ich halte es jetzt für notwendig, es bietet in Verbindung mit dem E.K.II. Rückhalt gegen gewisse Verdächtigungen: Du weißt, wie ich denke, wie meine Anschauungen im Großen sind und ich habe mich darin nie geändert.

Du kannst sicher sein, ich habe meine Grunderkenntnisse in jeder Gefahr und trotz jeder Gefahrgleich gehalten und darauf gesetzt. Ich habe es als größte Bewahrung vor mir selbst angesehen. Wer selbst in der Todesgefahr schwebt und fest bleibt, besonders gegen alle diese Schwätzer, die vorher nicht genug den Mund auftun konnten, der liefert damit den Beweis, dass seine Haltung nicht allein ein Ausweichen gegenüber der persönlichen Gefährdung ist, darum man allzu leicht vorher verdächtigt wurde und verdächtigt werden wird, wenn man allzu leichtfertigen Ideen, die Totalität für sich in Anspruch nehmen, abhold ist, maskierte Schlagworte, die alles infiziert haben und jeden anders Denkenden als Schwächling bezeichnen.

Es ist noch immer nicht begriffen worden - ich sehe es hier wieder unter den Kollegen - ohne Not äußere ich mich zu nichts - aber ich werde nicht schweigen, wenn ich nicht anders kann, selbst auf die Gefahr hin – in die Wüste nach vorn

geschickt zu werden. Ich habe diese Bewährung nicht gesucht – sie ist ja auch noch keineswegs als abgeschlossen zu bezeichnen – aber ich habe sie frei sicher übernommen und werde sie mit demselben Gefühl, wenn sie in dieser Härte noch einmal kommen sollte, wieder übernehmen. Ich werde mich wehren bis zuletzt, und wenn ich in dieser Katastrophe untergehen sollte. Wer die begründetere, umfassendere Haltung hat, wird sich klar zeigen, daran ändert auch der persönliche Tod nichts.

Wir waren zuletzt im Raum Schitomir - Kiew und hatten einen russischen Einbruch „abzuwehren“; wieder Kämpfe von äußerster Härte. Die Russen laufen in unsere Linien ein, es war ein hoher Befehl zu halten und in keinem Falle zu weichen. Auf diese Weise drangen sie im Schneegestöber auch bis zu unseren Deckungslöchern vor, es kam zu einem Nahkampf Mann gegen Mann, unsere Leute wehrten sich recht tapfer und todesmutig, meine automatische Maschinenpistole funktionierte Gott sei dank recht gut und als die Munition ausging, mussten wir mit dem Kolben und Handgranaten uns unserer haut wehren.

Die Russen sind im Nahkampf recht zäh und hinterlistig, besonders im Wald. Ich habe es schon einmal bei Charkow erlebt, aber diesmal wichen sie, wenn wir auch am nächsten Tag die Stellungen zurücknehmen mussten.

Unser Kommandeur fiel in diesem Nahkampf, er war der achte, den ich erlebte; es hat mich doch sehr erschüttert wie uns alle, er war ein schon älterer, gereifter Mensch voll soldatischer, offener, ehrlicher Haltung. Und eine Woche später wurde ich zur Sanitäts-Kompanie (= Hauptverbandsplatz) versetzt, man erinnerte sich plötzlich bei der Division, dass bei dem einen, zusammengeschlagenen Panzergrenadier-Regiment 394 ein Truppenarzt saß, der bisher noch alles überlebt

hat, den man jetzt gut gebrauchen könnte. Es sind effektiv nur zwei Chirurgen bei dieser Panzerdivision. Sie mangeln momentan an allen Ecken. Ich arbeite jetzt autoritär im Operationssaal und habe außer den vielen kleinen Verlegungen einige recht schwierige operative Eingriffe mit gutem Erfolg durchführen können. Gewiss, die Sanitätskompanie als vorderste Sanitätseinheit ist keineswegs eine Lebensversicherung, sie hat auch schon genügend Verluste an Ärzten und Mannschaften gehabt in diesem wüsten Feldzug, aber gegen ein Schützenregiment sind die Verluste 1:20. Und Arbeit bleibt über genug, als Panzerdivision werden wir als schnelle, bewegliche Truppen hin und her geschmissen und an allen Schwerpunkten eingesetzt.

Wenn die Schützenregimenter, besonders das Regiment 394, das hier als Todesregiment gilt - Kleiderschrank für die rückwärtigen Einheiten, die ausgekämmt werden für Ersatz der Vorderen - auch schnell dezimiert und zusammengeschlagen werden, so werden sie doch dauernd behelfsweise aufgefrischt durch jüngste Jugend und alte Leute, die dann dem Tode entgegen gehen. Ansonsten bleibt durch die schweren Waffen immer eine gewisse Schlagkraft und bei der heutigen Lage kann auf keinen Mann und Gewehrschuss verzichtet werden – früher war dergleichen unmöglich – eine Tragödie ohne gleichen.

Wir werden alle sterben müssen, die Jugend, wie oft habe ich es erfühlt, als noch niemand daran dachte. Schauer überkommen mich, voilà la réalité brutale est venue.

Wir sind jetzt wieder im Raum Tscherkassy, beziehungsweise in der Stadt selbst, wo die Russen wieder ganz erhebliche Angriffe starten, wir waren mit unserer Sanitätskompanie weitgehend eingeschlossen - die Sanitätskompanie unserer Nachbar- Infanteriedivision wurde bereits von den Russen kassiert, man fand nachträglich 25 Mann von ihnen mit Genickschüssen nackt auf der Strasse nach Tscherkassy. Mein altes Regiment hat wieder sehr gelitten, wie soll das alles noch werden?

Lebe recht herzlich wohl und schreibe mir recht bald

Dein Theo

jetzt ist sie da, die brutale Wirklichkeit