Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 9. November 1943

9.11.1943 [Poststempel]

Liebes Röschen,

Habe recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief mit den kleinen Rosen; sie haben eine Spur ihres noch immer berauschenden Duftes erhalten können. Blumen, ja Blumen, ihre Gestalt, die Farbe ihrer Blüten, ihr zarter zuweilen betäubender Duft hat mich immer wieder ergriffen...er regt mich auf. Ich habe immer wieder gerne unsere Blumenläden im Sommer besucht - oder ein Park, eine Gartenanlage oder eine Schwarzwaldwiese im Frühling. –

Die Ideen und Erzählungen, die der Oberleutnant gemacht hat, haben mich wieder einmal sehr amüsiert, zeigt es doch wieder, welch’ Geistes Kind unser armes Volk und auch die Besseren darunter geworden sind. Diese Fantasmen kursieren auch bei unseren Offizieren und werden - o Gott, o Gott - für absolut glaubwürdig befunden. Ich für meinen Teil erkläre hiermit absolut kategorisch, dass dies bewusst ausgestreutes idiotisches Geschwätz ist – eine solch zerstörende Waffe kann es gar nicht geben, abgesehen davon, dass wir zur Zeit nicht dazu in der Lage sind, in solchen Dimensionen herzustellen. Die Erzählungen Deines Oberleutnants erscheinen mir nicht recht glaubwürdig, denn als Führer eines Bautrupps kann er unmöglich Nachhuten bilden, bei der mäßigen Bewaffnung seiner Truppe, ihrer Unbeweglichkeit und ihr sicher gänzlich fehlenden [... stischen] Erfahrung - diese Leute werden partout gesucht – wäre er längst von den nachdrängenden Russen kassiert worden. Die Eisenbahnlinien, gar nicht zu reden von Bahnhöfen, werden schon

weit hinter den Linien zerstört, bzw. Wertvolles abtransportiert. Denn Eisenbahn(stellen) werden nun als erstes unbrauchbar, besonders durch die Bombardierungen. Man rechnete immer jeweils 30-50 km den ersten intakten Bahnhof hinter der zurückgehenden Front. Mag sein, dass solche Einheiten zuweilen von russischen Panzerspitzen überrascht worden sind. Diese machen oft weit hinter der Front Remi-demi, schießen ein wenig, verschwinden im Unbekannten. Sie machen Aufregung und nur das in der Etappe und veranlassen diese zu türmen. Gefährlich für den einzelnen können diese Panzer weit hinter der Font selten werden, es fehlen ja die Truppen, die das durchstreifte Gebiet besetzen und alles einheimsen können. Das ist natürlich anders, wenn beides vorhanden, zum Beispiel Stalingrad, wo alles hat daran glauben müssen. Nähmaschinen gibt es natürlich an der Front wie hinter der Front. Bei dem letzten großen Angriff der Russen warfen sich am helllichten Tage 200 Schlachtflieger auf unsere Stellungen, ein imposantes Bild, welches aber nur mit gemischten Gefühlen betrachtet wird. A propos, die weitesten Folgen der Fliegerangriffe außer den augenblicklichen, die jeder Dumme jetzt erspürt, und die noch stärker werden, werden noch immer nicht erkannt: Der Verlust des Anrechtes jeder privaten Existenz – wo nichts mehr ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren – und damit Kollektivierung unseres Daseins, Rückfall in den Urwald – interessanterweise schon 1933 von führenden Leuten als [---] Ziel aussprachen: W. Stapel, ein führender naz. Philosoph in den nat. soz. Monatsheften. „Wir sprechen es ganz offen aus, wir kommen aus dem Urwald und wir wollen den Urwald“. – ich habe das ganz gut aufbewahrt, um es nur nicht zu vergessen. Es war auf einen anderen totalen Lebensbereich gemeint, und die andere Seite hilft jetzt in ihrem Sinn total mit - Rückfall in die primitive Lebenshaltung eines Heloten. Devotismus ist schon da, es folgt als Konsequenz Helotismus.

Anbei ein Referat aus dem Hamburger Fremdenblatt, das mir zufällig in die Hände fiel. So wird es [---] in Zukunft sein. Es ist tragisch, durch welche Peitschenhiebe die Menschen belehrt werden müssen, furchtbar damit der Endeffekt, von dem wir alle zumeist betroffen sind. Welcher Ausweg bleibt da für uns? Was bleibt uns überhaupt?

Lebe recht herzlich wohl
Dein Theo