Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 2. Juli 1944

2.7.44

Liebes Röschen,

ich fühle mich sehr schuldig, dass ich mein Versprechen nicht eingehalten, dass ich Dich so lange warten ließ. Ich finde keinerlei Entschuldigung dafür, es war keine Absicht darin, es war ein einfaches sich gehen lassen verbunden mit den besten Absichten, Dich von allem und jedem einzelnen zu unterrichten. Aber da fühlt man plötzlich die Langsamkeit, das Unzureichende des geschriebenen Wortes, und schon überdrüssig, lässt man davon ab.

Also, verzeih mir –

Dank recht günstiger Umstände habe ich noch 8 Tage in Wien verbringen können. Wie ich Dir schon sagte, kannte ich in Wien den [...] Prof. Berg und seine Freundin. Dieser führte mich in seinen weiteren Bekanntenkreis ein, der wenigstens in einem Teil, unglücklicherweise aus nouveau riches, einflussreichen Spitzen der Ostmark, besteht, denen dort keine allzu lange Lebensdauer

bei der Entwicklung der Dinge noch zu prophezeien ist. Immerhin verschaffte mir diese Creme drei Tage Zusatzurlaub, die restlichen Tage verschaffte ich mir selbst, raffiniert ausgedacht. Ich nahm mir eine reguläre Karte der Lufthansa für die Strecke Wien-Budapest-Bukarest (193,50 M) .

Ich verließ Wien gegen Mittag mit einer hoch eleganten Lockheed-Maschine der Rumänischen Air Way und war schon nach drei Stunden in Bukarest. Dort hatte ich per Zufall direkt Anschluss durch eine Militärmaschine nach Lodz, und von dort nach Kischinao, wo meine Einheit liegt. Gegen Abend traf ich dort ein. Mit der Eisenbahn normale Fahrzeit z.Zt. für diese Strecke 5-6 Tage. Hier in Bessarabien ist seit Wochen dauernd Sonnenschein, Regen gibt es keinen, wohl ein Unterschied gegen unser

verdrießliches Ferienwetter. Blumen über Blumen sind hier, und noch mehr Obst, vor allem Kirschen gibt’s in allen Größen, Farben und Geschmackströmungen. Leider vertrage ich Obst zur Zeit nicht allzu gut, wie auch mein Gesundheitszustand zur Zeit nicht der Allerbeste ist. Doch davon ein andermal. Das Paketchen, welches Du zurecht gemacht hast, war wieder ein Wunderwerk. Es war rührend zu sehen, woran Du alles gedacht hast, wie liebevoll alles zusammengesetzt war. Ich hatte es schon in Wien nach und nach verkleinert, einige wundervolle Plätzchen sind mir noch als liebevolle Andenken geblieben.

Weißt Du, ich möchte Dir noch von Wien soviel erzählen, wie großartig nobel und ausgeglichen diese Stadt ist – man wird da oft an Paris erinnert – ich habe in Musik geschwelgt, die Walküre unter Knappertsbusch, den Rosenkavalier unter R. Strauß in der Staatsoper, im Burgtheater Grillparzer und Nestroy,

dazu das Zusammensein fast die ganzen Tage und Nächte mit meinem musikalischen Freund. Wir haben Orgien im Wiener Konzerthaus gefeiert - Bach, Händel, ganze [...] an einem Abend 7 – Brahms, Chopin, - die Klavierkonzerte – César Franck, Debussy, Rachmaninoff, - [...], entsinnst du Dich noch ,Liebe, dieses übergeistlichen Prologs, der einen erschauern lässt, welch eine Leidenschaft, welch eine Intensität der Spannung – welch eine Noblesse liegt darin!

Wie schön waren doch die Tage bei Dir, wie steil zuweilen die Höhepunkte, welch eine begeisternde Freude, immer bedrängt von dem leisen Weh - mit alles Vergänglichem, zuweilen auch zerstörend auf die Seele wirkend, durch dieses Denken an die Kürze des Augenblicks, den man weiter verlängern möchte. Diesen Schmerz hast Du, Liebe, manchmal nicht so recht verstanden.

Auf ein baldiges. Ich schreibe bald wieder.

Wie immer der Deinige
Theo

Erster Brief nach dem Heimaturlaub in Köln im Mai 1944.
Neureiche