Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 4. Juni 1942

Iserlohn, den 4.6.42

Liebes Röschen,

Ich fühle mich wieder sehr bewegt von all diesem Leben, was mich umgibt. Allmählich kann man sich ein Bild machen von dem Ausmaß der Zerstörungen, von dem unsere Heimat betroffen wurde. Meine dunkelsten, klar gesehenen Vorstellungen erfüllen sich allmählich, unter grausamsten , irrsinnigen Verwirrungen richten wir uns selbst zugrunde.

An langen Nachmittagen pleine de tristesse, trotz der blühenden Natur, an späten Abenden bis tief in die Nacht bewegten mich die Gedanken um das Schicksal, dem wir rettungslos verfallen werden, die Gedanken an das Schöne, das Sterben muss, weil die Menschen überdrüssig geworden sind zu leben und leben zu lassen. Wir sind losgelöst, weit ab von den Ursprüngen des Daseins, von uns selbst, von Gott, wir sind gequält, wie wir gequält sein wollen, weil auch die letzte Faser der Vernunft in uns erstorben. Was ist der Mensch? - eine Frage, die nie so dringend erhoben wie heute, aber keine Möglichkeit, sie zu beantworten für die Fragenden, weil sie falsch fragen, weil sie es nicht können -

welchen Abgrund erblickt man da zuweilen um sich, ich werde krank vor Aufregung, wenn diese Menschen um mich sind – nur der Katechismus gibt uns schon eine Antwort: ein Ebenbild Gottes – wenn man nur den Glauben an die Würde des Menschen zurückerhielte für die Allgemeinheit, doch der Mensch will es nicht. Wir wissen ja schon nicht einmal,

was Würde ist. Das Unglück muss uns ja noch viel furchtbarer treffen, wenn wir zur Besinnung kommen wollen. Ein unvorstellbare Logik. Der Satan ist am Werk, von den Verführten ab bis zu den Gefährlichsten der Gefährlichen, den Ungeistigsten der Ungeistigen, den Gesinnungs-(lumpen?) . Ja, diese verstehen wunderbar sich den Anschein der Geistigkeit, Überlegenheit zu geben – und täuschen damit noch die Ungeübten unter denen, die guten Willens sind. Unter diesen Menschen leide ich am meisten und sehe noch keine Möglichkeit, mich ihnen wahrhaft wirksam zu erwehren.

Liebes Röschen, wie klärend und befreiend waren doch die Stunden, da wir doch uns den Reflexionen des Geistes, der Anbetung des Schönen, hemmungslos hingeben konnten; wie hinreißend ist doch die Welt des Geistigen, ist es, wahrhaft ergriffen zu sein. -

Man schleift uns hier weiter im alten Stile, schikaniert uns hier und dort. Doch ich muss es bekennen, ich fühle mich trotz allem recht wohl. Vier von uns sind zum Unterarzt eingereicht worden, dazu gehöre ich. Der Chef nahm uns persönlich ins Gebet und ich tat mein bestes ihn zu blenden [?]. Der Eindruck war gut, glaube ich. Dann mussten wir mit dem Zug dem Abteilungskommandanten etwas vor exerzieren und vor kommandieren. Dass ich dabei meinen Mund aufsperrte, versteht sich von selbst. Schreibe mir doch recht bald, wie es bei Dir zuhause steht. Nicht dass Du auch noch obdachlos durch Köln herumlaufen musst. Wenn eine Veränderung mit mir eintreten sollte, so werde ich sie Dir schnellstens mitteilen.

Ich wünsche Dir alles Gute, liebes Röschen, und verbinde es mit einem Dank für alles, was Du mir getan hast.

Dein Theo