Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 6. Juli 1944

Liebes Röschen,

ich will schnell die Gelegenheit benutzen, Dir einige Zeilen zu übermitteln durch einen Kurier, der morgen nach Deutschland fliegt. Meinen ersten Brief mit dem genaueren Bericht wirst Du sicher noch nicht erhalten haben, wahrlich Röschen, Du hast allen Grund, mir gram zu sein. Und nun ist Dein langer Brief angekommen, Deine Gedanken nach dem Abschied, es ist wie eine Elegie, Schmerz, der süß ist, der um die Gemeinsamkeit weiß, Größe der Steigerung einander, auch wenn Zeit und Weite trennen.

Glaube mir, ich habe so manches Tiefe, Unzerstörbare in uns und mit uns

empfunden, wo die Größe und Allgewalt unsere Welt überwältigt. [...]

Dass Du auf dem Friedhof warst, welche Erinnerungen steigen da in mir auf, alle Schwermut der frühen Jugend, ihr hingegeben, Trost suchend auf der Bank unter den hohen schattigen Bäumen, erschüttert von den Versen des jungen Hugo von Hofmannsthal:

„Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihre Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
Und liegen wenig Tage und verderben.
Und immer weht der Wind....“

Und ein Zweites ruft in Deinem Briefe, die Erinnerung an

unsere glücklichen Stunden in Deinem Heim, unsere trunkene Freude, die Gewalt und Glut gemeinsamen seltenen Erlebens, das uns beinahe die Sprache verschlug. Und ich weiß es, so oft Du diese so hohe, letzte steile Höhe der Gemeinsamkeit wieder erfühlst, sind wir uns nahe - was bedeutet da alle Größe und Weite der zeitlichen und räumlichen Trennung! Weißt Du, ich würde mich freuen, wenn Du noch tiefer in unsere gemeinsame Welt des Geistes der Musik, des Rhythmus, der Sprache, der Betrachtung alles Seins hineindringen würdest.

Und noch eins: von meiner Flugreise ist mir ein beglückendes Gefühl geblieben: dass wir gar nicht einander so weit entfernt sind, dass sich diese Räume überwinden lassen, leicht und schnell.

Ich hoffe bald, liebes Röschen, wieder einen Brief von Dir in Händen zu halten.

Ich weiß, Du vergiltst mir meine Dürre nicht, aber sei mir deswegen aber auch nicht in einem kleinen Winkel Deines Herzens böse.

Lebe recht herzlich wohl.

Wie immer der Deinige
Theo

6.VII.44

aus Hugo von Hofmansthal 1874-1924 Ballade des äußeren Lebens, Strophe 1u.2