Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 22. August 1943

22.VIII. [1943 – Charkow]

Liebes Röschen,

hab Dank für Deine beiden lieben Briefe aus Bonn und vom 6.8. Deine klaren, idyllenhaften Schilderungen des Sommeralltags von Bonn, Deiner noch jetzigen Ungebundenheit des Lebens berühren mich seltsam und sind mir aus einer fernen, glücklichen Welt. Ich durchlebe wohl jetzt die bittersten, gefährlichsten Stunden meines Lebens. Es ist unvorstellbar, was man zu ertragen vermag und ohne sogleich graue Haare zu bekommen – und sich dann noch sagen zu können: Mein Gott, du lebst ja noch. Unser Panzergrenadier-Regiment, vor dem Einsatz circa 2500 Mann, davon sind noch

80 Mann da, entweder tot, verwundet oder in russischer Gefangenschaft. Wir haben jetzt den fünften Bataillons-Kommandeur. Ich bin der einzige Offizier von den Alten, der noch hier vorn steht, außer zwei anderen, die beim Tross leichte Verwundungen ausheilen. Wir werden in Charkow langsam eingeschlossen - offiziell „Kämpfe um Belgorod“ = Führerbefehl: Unter allen Umständen ist die Stadt zu halten. Die Russen haben Luftüberlegenheit, Panzerüberlegenheit, und eine geradezu fantastische schwere Artillerie- und Granatwerfer-Überlegenheit, unvorstellbare Trommelfeuer. Man erwartet jeden Moment in seinem Erdloch den gnädigen Tod. Eben sprach man noch mit einem Kameraden, fünf Minuten später ist er nicht mehr unter den Lebenden. Dann überall Partisanen, dauernd werden Leute

erschossen oder erstochen von Russen, die sich im Gelände versteckt halten. Zweimal bin ich bisher mit knapper Not der russischen Gefangenschaft entgangen. Einmal bei einem Panzereinbruch in ein vollständig umschlossenes Dorf, bei dem ich mich durch den Wald geschlagen, auf dem ein wüstes Trommelfeuer lag. Vor und hinter einem schlugen die Granaten ein, dazu Baumkrepierer, an allen Ecken Partisanen. Nach fünf Kilometer Wettlauf um mein Leben, kam ich glücklich in ruhigeres Gebiet. Die meisten anderen verschwanden auf diesem Wege, wurden vermisst. Die Handvoll Soldaten sind alsbald demoralisiert, man zieht sie aber nicht heraus, weil kein Ersatz. Man opfert den letzten Mann, man füllt die Einheiten darauf nicht mit anderen Resteinheiten, z.B. für die ersten 3 Infanterie-Bataillone, die auch restlos zerrüttet worden sind. Wer eine mittelschwere oder leichte Verwundung hat, preist sich glücklich: Es gibt nur […]

und Offizier: Heraus aus dieser Hölle. Heute ist es wieder ruhiger und ich sitze in meinem Loch und schreibe Dir, noch hier und da im Umkreis ein Granateinschlag. Wann müssen wir weiter zurück? Ich bin der Überzeugung, momentan haben wir mehr Menschenverluste als der Russe, relativ und absolut. Soll das Ganze ein zweites Stalingrad werden, die Art der Kriegsführung , der Einsatz des letzten Mannes bis zur Vernichtung, sinnloser Einsatz in ein fiktives Ziel, das jeder Landser als solches begriffen hat. Es fehlt uns an allem, an Männern, schweren Waffen, vor allem Munition. Es ist einfach wofür, warum ich das sage, dass auf einen deutschen Schuss 30 Russische kommen. Der Tod hält eine furchtbare Ernte wie noch nie in den vier Kriegsjahren - bis auf Stalingrad. Ich muss das Schicksal über mich ergehen lassen. Lebe recht herzlich wohl, liebes Röschen,

Dein Theo.