Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 28. Januar 1945

Liebes Röschen,

endlich finde ich eine Gelegenheit einen Brief einem Bekannten nach Westen mitzugeben. Ihn der Post anzuvertrauen ist heutzutage nicht allzu ratsam; er wird wohl bei dieser Entfernung sein Ziel nie erreichen.

Ich war drei Wochen in Berlin, habe Konzerte gehört (auch die 5. Sinfonie von Dvorak), habe die arg mitgenommene Weltstadt von innen und außen besehen. Wohnte ein einem der ersten Hotels - von den wenigen, die noch geblieben sind am Bahnhof Friedrichstrasse. Jetzt arbeite ich ein einem Lazarett in Neuruppin - nordwestlich Berlins - die Geburtsstadt Fontanes – ein für die östliche Lage und den übrigen preußischen-hinterpommerschen Accessoires relativ hübsches Städtchen, an einem großen See gelegen – ein beliebtes Ausflugsziel der Berliner in besseren Zeiten. Ich habe eine große chirurgische Abteilung mit 200 Betten, die mich mit ihrer Arbeit sehr ausfüllt. Im übrigen glaube ich, liebes Röschen, steuern wir

nun rasch dem finis Germaniae zu.

Ich treffe meine Dispositionen - vielleicht, dass ich in nicht allzu langer Zeit à l’ouest [im Westen] erscheinen werde. Oder mit den Großsprechern einer vergehenden Zeit zu reden = ich stehe am Wendepunkt meines Lebens, ob ich die letzten fünf Minuten auch überstehe.

Liebes Röschen, schaue auch Du zu, das du Dein Heim nicht verlässt, gebe es unter keinem Preis auf, oder wir sind verloren. Das Flüchtlingselend aus dem Osten, welches man hier zu sehen bekommt, ist desaströs. Wir stehen nun bald einem Debakel größten Ausmaßes ohne Rücksicht gegenüber, wie man es in der Geschichte bisher noch nicht erlebt hat.

Habe Vertrauen Röschen, ich schreibe in drei Tagen wieder.

Immer der Deinige
Theo

28.I.45

Reservelaz. 102
Neuruppin