Gisela W. an Theo Hoffmann, 21. September 1943

Krakau, 21.9.43

Mein Lieber!

Als ich gestern nacht mit meiner Mutter aus Zakopane zurückkam, fand ich Deine lieben Zeilen vor. Du, ich bin schwer begeistert wie schnell Deine Post zu mir gelangt, wenigstens ein Vorteil im (...) (Dein Brief ist datiert vom 9.9.) Die vorigen beiden Briefe habe ich auch erhalten. Ich schreibe natürlich wieder einmal im Labor und die Arbeit muss warten.Aber schließlich muss es doch jeder einsehen, dass Feldpost-

briefe wichtiger als Analysen sind, nicht?

Es freut mich so , dass es Dir im Augenblick nicht ganz so dreckig geht wie vorher. Hoffentlich anhaltend.

Nun muss ich Dir mal von der Reise nach Zakopane berichten. Die Bahnfahrt ist für die Entfernung (110 km) mit fünf Stunden reichlich, dazu noch Eilzug. Das Wetter war schön wie selten dort unten in der Tatra über Sonntag. Zakopane liegt ganz herrlich und ich konnte mich von den geliebten Bergen

nur sehr schwer trennen. Das Gebirge ist so urwüchsig, manche lieben es deshalb nicht. Vor dem Krieg waren dort die internationalen fis-Rennen (Ski-Rennen). Das frühere Repräsentationshaus des Gouverneurs , 1939 erbaut, ist jetzt für den Privatverkehr freigegeben, aber man kommt da schlecht unter ohne Verbindung. Es öliegt ja fabelhaft und die Inneinrichtung ist ganz komfortabel, der größte Teil schmiedeeiserne Leuchten, herrliche Kamine etc. – Wir sind Sonntag auf den Kasprowy (?) gefahren, die Karte von dort wirst Du

ja inzwischen erhalten haben. Das ist eine Fahrt! Mit der Drahtseilbahn geht es über Täler und schroffes Felsengestein, über Bäume und Sträucher. Oben angelangt haben wir eine kleine Wanderung gemacht, denn zuviel konnte ich meiner Mutter nicht zumuten. Nach dem Mittagessen sind wir bis zur Mittelstation bergab gefahren und den Rest gelaufen, immerhin drei Stunden, die Kaffee-Station wurde in dem schönen Berghaus eingelegt. Leider war für mich verfressenes Geschöpf der Kuchen dort

zu dünn und zu wenig. Am Abend haben wir uns dann bald in die Falle gelegt, denn wir waren rechtschaffen müde. Montag haben wir der Sonnenberg(...) eine Besuch abgestattet, die Hinfahrt ging wieder per Seilbahn, zurück zu Fuß. Blaubeeren und Walderdbeeren gab es. Pilze habe ich gesammelt ( wenn Du nächstens eine Todesanzeige bekommst, so bin ich an Pilzvergiftung gestorben) Von den vielen Blaubeeren habe ich Magendrücken bekommen. Zum Mittagessen erwartete uns ein gutes Essen und es gab

sogar eine Kapelle. Sehr nett und gemütlich war es da, auf dem steilen Abweg hatte ich Angst, dass sich meine alte Dame die Glieder brechen würde. Im Wiener Kaffee habe ich mich ordentlich voll Kuchen gegessen, Eis vertilgt und dann befriedigt die Zeitung studiert. Nachdem wir dort ein kleines Vermögen gelassen hatten, mussten wir wieder schon an die Heimfahrt denken. Mein Gurtkoffer, den ich blos mitgenommen hatte und mit allen

möglichen und unmöglichen Sachen vollgestopft war, wollte mir meine gute Laune verderben und platzte. Ich war schwer begeistert und musste ihn verschnüren, nachdem ich mit einem netten Augengeklimper paar (...) Papierschnurreste ergattert hat. Mit einer Stunde Verspätung und in strömendem Regen kamen wir hier an. Das waren also die Zakopaner Begebenheiten. –

Du, sag mal, was meinst Du: ob wir uns, wenn wir uns wiedersehen , wieder so gut verstehen

würden? Wenn ich an Frl. Reck denke, die ich als Ferienbekanntschaft ganz nett fand und mich dann in Kattowitz so enttäuschte. Vielleicht würdest Du mich dann auch anders finden als Du mich in Erinnerung hattest? Aber daran wollen wir nicht denken und es wird ja auch nicht der Fall sein. – Wir haben uns wie im Vorübergehen kennen gelernt, uns verliebt, versucht in den anderen einzudringen, ihn zu verstehen, um etwas Teil an ihm zu haben und zurück blieb eine kleine Hoffnung auf ein freudiges Wiedersehen.

Deine Gisela