Gisela W. an Theo Hoffmann, 11. Oktober 1943

Nr.II
Krakau , 11.10.43

Mein lieber Theo!

Eben habe ich wieder Deinen letzten Brief gelesen, vom 9.9. Ich bin in großer Unruhe, denn das ist eine lange Zeit. Gell, Du schreibst mir recht bald. Wenn Du jetzt bei mir sein könntest. Das gepumpte Radio bringt die Montagssendung. Und ich stelle mir vor, wie wir hier beide tanzen würden – glücklich verliebt, berauscht. Es erklingt gerade: -...sei heut Nacht mein Pustaliebchen – einschmeichelnd und verführerisch, es zuckt mir förmlich in den Beinen – der Rhythmus wird immer toller!

Das Päckchen schicke ich nun ab. Lass Dir alles gut munden. Die englischen Zigaretten habe ich geklaut. Du siehst, ich werde wegen Dir noch zur Diebin. Wenn Du wieder eine Zulassungsmarke hast, kannst Du sie mir senden. Irgendetwas wird schon wieder aufzutreiben sein. Die kleine Mundharmonika habe ich Dir als Talisman bestimmt. Außerdem kannst Du musikalischer Mensch unmöglich ohne Musikinstrument sein. Man kann ganz gut darauf spielen. Ich habe alte Weisen darauf probiert, wie „Lustig

ist das Zigeunerleben“ usw. Findest Du das originell? Du wirst es ja wohl weiter bringen. Und so was schickt Dir ein so unmusikalisches Geschöpf wie ich, was? Aber eigentlich kann man das auch nicht sagen, wenn auch mein alter Herr früher mit den Türen schmetterte, wenn ich Klavier übte. Meine Klavier-Tante behauptete, ich wäre musikalisch, bloß faul. Ja, wenn das schöne Wetter lockte, konnte ich nicht ruhig auf dem Klavierschemel hocken. Ich habe Musik in mir, im Blut. Was sonst?

Hoffentlich ist das Päckchen

nicht zu schwer, dann tob ich. Morgen früh im Labor werde ich’s wiegen. –

Bei uns hat der Herbst seinen Einzug gehalten, es wird kalt. Hier ist ein scheußliches Klima, hoffentlich erkälte ich mich nicht wieder so. Wenn ich da an Russland denke, möchte mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich vertrage Kälte sehr schlecht.

Lieber, lass es Dir weiter recht gut gehen. Sei recht lieb gegrüßt von
Deiner Gisela