Rosalie Schüttler an Freund Theo Hoffmann, 9. Juni 1943

9.6.43 [Poststempel]

Lieber Theo!

Durch die Reise habe ich es ganz versäumt, Dir rechtzeitig ein frohes Pfingstfest zu wünschen. Ich schicke Dir aber doch noch ein kleines Pfingststräußchen mit meinen guten Wünschen. Die Heckenröschen blühen verschwenderisch den Garten entlang, und diese drei sollen Dir besonders liebe Grüße bringen. Ich möchte so gerne wissen, wie es Dir heute geht, und was Du tust. Am liebsten wäre ich von Dresden, anstatt nach Hause, nur noch weiter nach Osten gefahren. Ich musste traurig daran denken, dass Du in so unerreichbarer Ferne und vielleicht oft genug gefährdet bist. Hoffentlich erzählst Du mir recht bald wieder von Dir und Deinem jetzigen Aufenthaltsort – es war kein Brief von Dir da, als ich nach Hause kam, und an meiner Enttäuschung habe ich gemerkt, wie sehr ich darauf gehofft hatte. Du wirst meine Karte aus Sachsen gewiss erhalten haben? Die Rückreise war auch noch recht hübsch, durch Thüringen, mein Geburtsland. Ich

hatte eine nette Unterhaltung mit zwei Soldaten, gebildeten Menschen, die aus Italien kamen und recht interessant zu reden wussten. Durch Wuppertal konnte man wieder fahren, aber Du lieber Himmel, wie sieht dieses Barmen aus! Ausgebrannt und ausgestorben – eine bittere Anklage. Wenn man das so sieht, könnte an weiß Gott vor jedem Alarm Angst bekommen. Seither haben wir aber keinen Angriff mehr gehabt. Ob das nun wieder die oft genannte Stille vor dem Sturm bedeutet? Goebbels hat ja in seiner großen Rede teils deutlich, teils umwunden gesagt, dass wir noch auf vieles gefasst sein dürfen. Doch hier geht ja die Rede von einem englischen Flugblatt, das den verheißungsvollen Spruch trug: Köln werden wir jetzt schonen, denn wir wollen dort noch einmal wohnen – zuweilen mutet einen der Krieg sogar albern an. Es muss im übrigen irgendetwas geschehen oder im Gange sein, denn bei meiner Heimfahrt über die Brücke wurden dort alle Fahrzeuge, auch die Straßenbahnen von einem Polizei-Kommando angehalten und kurz durchgesehen. Wann du wieso, das erfährt man später vielleicht auf Umwegen- .

Zu Hause war mein erster

Weg in den Garten, man ist ja immer so neugierig auf das wachsende Selbstangebaute. Es warenzwei dicke Erdbeeren, die ersten, reif geworden – wie gern hätte ich sie Dir geschenkt, sie waren so köstlich rot und süß und aromatisch. Dann habe ich auch die ersten Stachelbeeren zu einem sehr sauren, aber trotzdem herrlichen Kompott abgepflückt, sie waren so schön dick, dass ich Appetit darauf bekam. Zur Strafe rumpelten sie mir einige Stunden im Bauch herum, es war aber nicht weiter wichtig. Viel schwerer liegt mir auf der Seele, dass ich diese Woche, nach fünf Wochen Freiheit, wieder im Büro zubringen muss, es gefällt mir gar nicht. Aber Du musst mich nicht “Faulpelz“ schelten, ich kann zu Hause meine Zeit so viel nutzbringender anwenden - - welche Auffassung, weh’ wenn das der Bevollmächtigte für Kriegsnotwendigkeiten gehört hätte! – Gestern habe ich noch tüchtig gebacken; in den letzten zwei Wochen konnte ich Dir nur wenige kleine Päckchen schicken, das tat mir so leid. Dafür schicke ich jetzt eine ganze Menge hintereinander ab Ist das 2000 Gramm Päckchen inzwischen in Deine Hände gekommen? Und ich würde auch ganz gern wissen, ob Du den Geldschein, den ich etwa Ende März an Dich

abschickte, eigentlich erhalten hast. Ich habe wieder weitere Scheine gesammelt – Du schreibst es mir doch, wenn Du sie haben möchtest, nicht wahr lieber Theo? Morgen schicke ich die versprochenen kleinen Bücher an Dich ab. Das “Maß für Maß“ ist ganz großartig. Welche Einfälle! Es quält mich nur, dass ich noch nicht aus eigenem Erkennen das Wesentliche bei Shakespeare herausfinde. Ich glaube, darüber müsst ich einmal mit Dir reden. – Heute bekommst Du wieder zwei Zeitungsausschnitte. Ist das Bild nicht hübsch? Und muss man sich nicht wundern über die gewaltige Veränderung in 100 Jahren?

Der Bericht über die Hölderlin-Feier wird Dich auch interessieren. Ich hätte aber kaum dabei sein mögen, ich bin ein wenig eifersüchtig auf all die Menschen; mir ist als müsste dieser Dichter uns beiden allein gehören –kannst Du das verstehen? Wenn es mich andererseits auch freut, dass er geehrt und gefeiert wird. Nur legt man ihn natürlich gern wieder in einem Sinn aus, den ich nicht darin finden kann. - -

Lieber Theo, schreibe mir bitte wieder recht bald – unterwegs habe ich auf den Bahnhöfen immer allen Soldaten ins Gesicht sehen müssen, - wenn ich auch weiß, dass es kaum möglich ist, so muss ich doch immer Dich unter ihnen suchen.

Leb wohl – Gott behüte Dich lieber Theo!
Deine Röschen