Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 4. Mai 1943

Mein liebes Röschen,

schnell ein Lebenszeichen von mir, das ein Urlauber mit ins Reich nimmt. Ich bin jetzt etwas weiter frontwärts gerückt. Der Verlauf des letzten Winters war überaus gewinnbringend und ich hatte manchen Erfolg zu verzeichnen, der allgemein und mit Nachdruck bemerkt wurde. Jetzt ist der Arbeit nicht viel und ich knie mich in die Chemie hinein. Ich arbeite mit großer Beharrlichkeit dank der glänzenden augenblicklichen physischen und geistigen Verfassung. Die Musik entbehr ich sehr, trotz einiger glänzender Bekanntschaften, die ich en passant mache. So z.B. Prof. Berg vom Wiener Konservatorium, ein ausgezeichneter Geist, noch jung , dem man noch eine größere Zukunft zutrauen darf. Ich habe einige Konzerte mit ihm in Taganrog, Sparoschje und Dnjepropetrowsk arrangiert, glänzende Abende und unter anderem im Programm: Chopin- Balladen, Sonate b-moll, Bach: italien. Konzert, wohltemperiertes Klavier, Tschaikowski : Konzert b-moll, usw. Du kannst Dir denken, welch eine Anstrengung das für mich bedeutete. Wir haben manchmal nächtelang an einem Werk interpretiert und gefeilt, ich natürlich der Enthusiast und Kritiker – nachtwandelnd, rauschhaft überwältigt. Demnächst werden einige Platten bei Dir eintreffen, wahre sie sorgsam, sie haben den

Rückzug überstanden, andere sind in Scherben gegangen.-

Im übrigen werden die Russen immer aktiver, das merkt man hier ganz deutlich. Sie pendeln am helllichten Tage in der Luft und zielen genau ihre Bomben. Die sind noch lange nicht am Ende, während es bei uns immer knapper wird. Ich habe erst einen Tiger-Panzer gesehen – und die sollen ja alles machen. Ich habe dunkel den Eindruck einer beginnenden Katastrophe. Wer hier in sie hinein steuert wird unweigerlich zermalmt werden. Es erscheint mir zuweilen zweifelhaft, ob ich aus diesem Hexenkessel herauskommen werde. Wenn man wenigstens uniformiert vorher in Urlaub kommen könnte. Die Aussichten zu diesem sind auch nicht die Glänzendsten. Nous verrons. Schreibe mir recht bald wieder, liebes Röschen.

Sei herzlich gegrüßt von
Deinem Theo

4.5.43

 

Wir werden sehen