Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 3. Mai 1944

Liebes Röschen,

hab Dank für Deinen Luftpostbrief, der mich über so manches beruhigt hat. Er traf nach zehn Tagen Laufzeit ein. Zugleich damit bekam ich auch Nachrichten von meinen Eltern, sie trafen mich wie Hammerschläge; ich war aber doch glücklich darüber, sie relativ gut bewahrt zu wissen, meine Lieben zu Hause. Besonders schmerzlich empfinde ich es für meine Mutter und Großmutter, dauernd diesem Schrecken ausgesetzt zu sein, sie werden allmählich gesundheitlich zugrunde gehen müssen. Und diese Angriffe werden auch auf Köln nicht nachlassen, besonders angesichts der drohenden Invasion. Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, bald auf Urlaub zu kommen und es wird unter diesen Umständen sicher kein großes Vergnügen werden.

z.Zt. besteht hier noch Urlaubssperre. Rückkehrende Urlauber, denen es gelingt, sich hierher durchzuschlagen, brauchen circa drei Wagen. Hier ist es zur Zeit etwas ruhiger, die Angriffstätigkeit der Russen hat nachgelassen, um wohl bald erneut konzentriert zu beginnen.

Mir geht es zur Zeit mal so und mal so, war vorübergehend leicht erkrankt, wohl die Nachwirkungen des --- Winters. Meine Stimmungslage ist auch nicht die Beste. Les stupidités de l’entourage qui m’egare.

Doch davon später einmal. Der Frühling macht, trotz friedlicher Lage hier, nur wenige Anstrengungen, sich (zu) behaupten: mit Regen, Wind und unfreundlichen Tagen. Mein einziger Trost waren Bücher in denen ich Zeit fand, die ganze vergangene Woche zu lesen: W. Raabe „Der Hungerpastor“, ein großes, ergreifendes

Buch. H. Ceram: Das Ich der schönen Täuschungen, Broglie: Luft und Materie.

Bücker: Musikerbriefe (alle drei von meiner Schwester) , dann auch Franzosen, die man selbst hier in Bessarabien fast in jedem Hause im Urtext findet: Molière, Voltaire ...

Dann Tolstoi „Anna Karenina“ in Russisch, es geht langsam aber es geht. Dann Kleinschmidt: operative Chirurgie (von einem Kollegen geliehen).

Es war doch für mich eine fruchtbare Woche - nach langer Zeit. Doch ist der darin zu findende Trost nichts vor der übrigen beharrlichen Entwicklung angesichts aller Ereignisse. Dazu bin ich schon, wie gesagt, z. Zeit in etwas labiler Stimmung.

Dass Dein Heim verschont geblieben

ist, freut mich sehr! Aber wie lange wird man noch im Besitze eines solchen Luxus sein können? Ich glaube dies ist nur noch eine Frage der Zeit, vor der uns niemand rettet, wir werden alle vor dem Nichts stehen, ergraut und [---], und wenn wir die letzten Opfer sein sollten, aber wir werden es sein. Ich fühle wie das alles meine Initiative, meinen Elan lähmt. Mein Gott, soll ich meiner selbst zu sicher gewesen sein?

Wie heißt es da „Wir müssen alle hindurch, ohne den Ausweg zu finden“ – furchtbar ist dieser Gedanke für mich.

Bin immer der Deinige
Theo

3.V.44

die Dummheiten der Umgebungen verwirren mich