Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 6. Dezember 1942

Rostow 6.12.42 [ohne Anrede]

Es ist 12 Uhr in der Nacht. Seit 8 Uhr war ich drüben bei zwei Theologen, die hier als Soldaten nur Unteroffiziere sind. Ich habe heute Abend zum ersten Male länger mit ihnen gesprochen. Übervoll war ich, ich glaube, ich habe in diesen 4 Stunden das Letzte, das Höchste ausgesagt, dessen ich fähig war, es immer wieder umkreisend, es fassend, voll Angst, wenn es entfliehen wollte. Wenn Du doch dabei gewesen wärst. Ich kann es Dir nicht wiederholen, vergegenständlichen. Es entzieht sich der festen Darstellung, aber ich habe es heute wie niemals zuvor präzisieren können, woran wir kranken, woran wir leiden, durch alles Unwesentliche, Zufällige zum Wesentlichen vorstoßend. Wie in einer Erleuchtung entwickelte sich eins aus dem anderen, floss ein Gedanke aus dem anderen, sich windend zu essentiellen Bestimmungen und Grunderkenntnissen. Keinen Weg sehe ich heraus aus diesem Dilemma, aus diesem Bruch, der durch uns geht. Aber diese Klarheit

des „Wo wir stehen“, die vorübergehend so präsent und im Gespräch zur Substanz wurde, wird sie uns, mich hinausführen dahin, wohin wir im Tiefsten wollen, uns erfüllen?

Wie wohltuend ist es, Resonanz zu finden, frei und weit, unbehindert zu sprechen! Wie befreiend, das überströmende Herz auszubreiten, es von allem Zwang zu entledigen, sich selbst zu klären an Menschen, sich klar zu werden in der Dialektik der Sprache.

Der Deinige
Theo