Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 25. Januar 1944
Rostow 25.1.43
Liebes Röschen,
wir müssen Rostow fluchtartig verlassen. Ich bin sehr traurig darüber, glaube mir, ich bin selten so glücklich gewesen, wie hier in Rostow mit meiner Arbeit, meiner Umgebung und mit mir selbst. Die Russen standen an der Tür, sind aber wieder zurückgeschlagen worden. Aber es hilft nichts, wir müssen weiter zurück und wir sollen in die Gegend zwischen Stalino und Dnjepropetrowsk. Ich fahre heute schon nach Taganrog, kommandiert in eine Chirurgenstaffel. Dort werden die vier Chirurgenstaffeln der Armee sich treffen, es wird sicher viel und interessante Arbeit geben. Taganrog ist mit V.(Verletzten ?) vollgelaufen. In wieweit alle diese Veränderungen mein Schicksal, das persönliche und das
medizinische beeinflussen werden, liegt noch im Dunkel. Bisher hat es der Herrgott so gut mit mir gemeint, dass es mir zuweilen wie ein Wunder vorkommt. Es war so schön hier und Rostow ist eine solch wundervolle Stadt trotz der verheerenden Zerstörungen, ein sehr schöner, angenehmer Menschenschlag. Unglaublich scheint es, ich hätte hier sogar für mein Leben bleiben mögen. Es ist ein eigentümlicher Abschied für mich...
Ich möchte Dir noch
soviel erzählen - aber hier ist überall etwas eine „sauve qui peut“ - Stimmung, efforcement ein Durcheinander. Ja ich möchte Dir erzählen von meiner Freundschaft mit der Schweizer Ärztekommission- sehr interessant und erhellend – und der großartigen Weihnachtsfeier, in deren Verlauf ich eine Rede hielt, die das Gleichmaß zwischen persönlicher Rede- und Gedankenfreiheit einerseits und überpersönlichen, staatlichen Anforderungen andererseits hält. Prof. Nägeli aus Zürich hatte mich nachträglich um den Text gebeten als Souvenir dessen, was den frei denkenden Menschen als Ausdrucksmöglichkeit bleibt.
So muss ich nun scheiden von einem schönen, kurzen Abschnitt des Lebens - wieder Ungewissheit und schwankenden Bestand.
Lebe recht herzlich wohl, liebes Röschen!
Auf ein baldiges grüße ich Dich herzlichst
Dein Theo