Rosalie Schüttler an Freund Theo Hoffmann, 31. Mai 1943
31.5. [1943]
Lieber Theo,
heute ist ein Jahrestag für uns, da muss ich Dir einen lieben Gruß schicken. Am 31. Mai im vorigen Jahr war ich in Iserlohn bei Dir.. Ich muss heute immerzu an diesen Tag denken und wünsche mir, Du würdest Dich ebenso gern daran erinnern, wie ich es tue. Es war wundervoll für mich, einen ganzen langen Tag Dich neben mir zu haben. Du warst so lieb und gut, mit manchen kleinen Dingen, die mich glücklich machten, und Dein Wesen war mir so nah und so aufgeschlossen – meist, wenn ich daran denke, ist ein Gefühl von Dankbarkeit in mir, da in eine tiefe Begeisterung für Dich übergeht.. –
Seltsam, heute ist der gleiche Tag wie damals, am Vormittag Regen und jetzt einwenig Sonne, nur noch wärmer ist es heute. Ich habe eine kleine Waldwanderung gemacht und dachte an unseren gemeinsamen Spaziergang – erst der Besuch in der Dechenhöhle, wo der komische Führer alle Gebilde als Menschen und Dinge darstellte und einem jede eigene Fantasie verdarb, dann der hübsche Weg zum Nachbarstädtchen – war es nicht Letmathe? – auf dem Du mir so
manches von Dir erzähltest. Und ich denke an die Samstag- und Sonntagabendstunden mit Dir und mit Deinem lieben kleinen Buch. Ich war sehr glücklich – wie gut, dass ich nicht wusste, wie lange ich Dich nicht sehen würde. Wann wirst Du wohl einmal da sein. Sieh, mein Nachbar, der schon seit Iserlohn immer in der gleichen Stadt mit dir ist, der ist jetzt schon in Urlaub hier, obgleich er fast drei Monate später Soldat wurde als Du. Ich war richtig ein wenig empört, als ich ihn sah. Wir haben eine Weile gesprochen, er hegt hinsichtlich Russland und der Soldaten dort auch nur trübe Befürchtungen und empfiehlt uns hier die Anschaffung von Gasmasken. Letzte Nacht haben wir hier wieder einmal eine Stunde wüstes Flak-Schießen gehabt, die Splitter fielen mit solchem Lärm, dass wir schon an Brandbomben glaubten, aber es ist Barmen gewesen, das diesmal angegriffen und halb zerstört wurde. Die Menschen sind brennend und vor der Hitze flüchtend in die Wupper gesprungen. Es muss furchtbar gewesen sein, eine sehr große Anzahl Tote hat es gegeben. In der Zeitung wird wieder allen nicht beruflich Gebundenen empfohlen,
die Stadt zu verlassen - damit sie notfalls die dort durch Bomben Ausfallenden ersetzen können. Ganz so krass war es zwar nicht ausgedrückt, aber der Sinn war es. Man hat also noch schlimme Befürchtungen und die Absicht, das Rheinland zu opfern.
In diesen Tagen war ich wieder einmal im Dom - ach der arme Dom, das ist die Empfindung, die man dort zuerst jetzt hat. Alle wertvollen Altäre, die Statuen um die Säulen und überhaupt alle Kostbarkeiten sind ummauert, sodass man überall vor rote Ziegel- und weiße Zementwände sieht. Auch die bunten Fenster sind nun fast alle weggenommen.
Soeben ruft mein Vater an, Transport nach Sachsen, in zwei Stunden muss ich schon fort.
Lebwohl denn lieber Theo, von der Reise schreibe ich Dir wieder.
Ich grüße Dich herzlichst
Deine Röschen