Rosalie Schüttler an Freund Theo Hoffmann, 22. Juni 1943
22.6.43 [Poststempel]
Pfingsten [1943]
Lieber Theo,
diesmal bekommst Du ein kleines Bilderbuch, vielleicht wird es Dir gefallen. Es sind meine ersten Fotoversuche, die ich an Stroppi und an meiner Umgebung ausgelassen habe. Nachdem ich den ersten Film fast völlig verdorben hatte, sind diese Bildchen aus dem zweiten und dritten schon ganz manierlich geworden, ist es nicht war? Ich binde daraus ein kleines Heftchen für Dich, so ist es mir, als ob ich diese Abendstunden des Pfingstmontag mit Dir verbringe. Beide Feiertag waren recht lebhaft für mich, um so mehr empfinde ich jetzt, wie sehr mir ein Gruß von Dir fehlt. Ich schaue wieder so sehnsüchtig nach Deiner Handschrift aus, und die Zeit wird mir wieder grausam lang. Treibt
Dich gar nichts mehr, mir wieder ein wenig öfter zu schreiben, lieber Theo? Bald werde ich wieder Besuch haben und es wird unendlich schwer sein, wenn ich dann keinen Brief von Dir habe. Kann nicht der Gedanke Dich zum Schreiben bringen, dass Du mir unendlich viel Freude und Glück damit schenkst? Ich wünsche mir so sehr, Dir wieder so nahe zusein, dass Du mir von allem Erleben gleich erzählen musst – wie Du es einmal getan hast. Ob Du nicht doch der Heimat ein wenig entfremdet bist? Nur ich muss immer mit der gleichen Sorge fragen: Wie geht es Dir jetzt – oft am Tage wünsche ich alles Gute auf Dich herab, und immer, ob ich auch unter Menschen bin oder mit irgendwelchen Arbeitenbeschäftigt, denke ich insgeheim an Dich, sodass Du mir auf eine liebe
Art nahe bist. Mein Herz führt immer lange Gespräche mit Dir – es sind meine besten Gedanken, die zu Dir gehen.—
Gestern war ich den ganzen Tag bei meinem Bruder, er ist damals glücklicherweise noch nicht nach Russland gekommen, sondern erst nach Frankreich, in die schöne Bretagne, und er kam vorgestern plötzlich in Urlaub. Da war nun natürlich großes Begrüßungsfest. Allerlei Eß- und Trinkbares hat er mitgebracht, und Du kannst Dir denken, dass wir nette Stunden verlebten. Der Abend brachte dann mir nochein schönes Ereignis: nach langer Zeit war ich wieder einmal in der Oper. Ganz zufällig hatte ich eine Karte bekommen , was heute normalerweise kaum möglich ist. Und so hörte ich den Othello, dieses wunderbare Musikwerk, das mich in helle
Begeisterung versetzt hat. Schöne Stimmen, schöne Aufführung, schöne Ausstattung – Du kannst Dir vorstellen, welche Freude es für mich war. -
Dabei denke ich wieder an die Schallplatten, von denen du schriebst, bisher sind sie nicht angekommen, sie werden doch nicht verloren sein? In der nächsten Woche, wenn ich dienstfrei habe, werde ich mir irgendwas Schönes ausleihen in der Musikschule, ich werde Dir dann davon erzählen. Demnächst wird im Gürzenich Die Schöpfung aufgeführt, aber ich weiss noch nicht durch wen und mit wem. Heute hat das Radio schon seit dem frühen Morgen einhervorragendes Programm: Sinfonien von Brahms und Schuhmann und Konzerte von Bach, Beethoven, Liszt und
Mozart – schön nicht war? Ich hatte am Nachmittag Besuch von Bekannten, liebe, kluge Menschen, und zum Glück grosse Musikfreunde, sodass ich den doppelten Genuss hatte, über das Gehörte noch nach Herzenslust reden zu können. Diese Leute waren einmal sehr reich und hatten einwundervolles Haus auf der Marienburg. In ihrer Fabrik habe ich meine Lehrzeit durchgemacht, und dass ich in schwerer Zeit zu ihnen gestanden und geholfen habe, das vergessen sie mir nie. Heute geht es ihnen Wieder gut, aber die Freundschaft hat gehalten. Ich habe sie mir meiner Pfingst-Erdbeertorte bewirtet und damit grosse Begeisterung errungen. –Ich musste daran denken, wie Du Dich immer entzückend freuen konntest über gute Dinge – das könnte mich erfinderisch
in Leckerbissen machen. – Man kann jetzt wirklich glücklich sein, wenn man über ein wenig „eigenes Wachstum“ verfügt, denn es ist buchstäblich nichts zu kaufen ohne Tausch oder gute Verbindungen. Ich beginne schon langsam mit dem Einkochen, eine Arbeit, die mir immer viel Freude macht. Da heißt es: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen und es finden sich immer genügend „schlechte“. Hättest Du da nicht Lust mitzutun? Um Dir wenigstens ein kleine Probe der köstlichen Erdbeeren schicken zu können, habe ich einige in Törtchen eingebacken und mache Dir gleich zwei kleine Päckchen daraus. Du wirst lachen über die komischen Gebilde, aber sie sind trotzdem ganz gut geworden. Hof-
fentlich kommt alles in Deine Hände, in den letzten Tagen habe ich eine ganze Menge Päckchen an Dich ab geschickt. Hast Du auch wohl alle meine Briefe erhalten? Man weiß ja heute nie, ob die Post nicht vielleicht gelegentlich durch Bomben vernichtet wird. So oft werden jetzt Züge getroffen, es geht ja immer wüster hier zu. Die letzten Tage sind wieder recht unruhig. Du weißt es wohl noch, dass wir in dieser Jahreszeit nächtlich zwischen halb eins und drei Uhr Alarm haben. Oft geht man vorher gar nicht erst schlafen, und wenn ich dann nicht ins Büro muss, schlafe ich dafür bis in den halben Vormittag, und so kommt einem die ganze Tageseinteilung durcheinander. Und heimlich macht man sich nun vor jeder Nacht eine wenig Sorge um sein Heim. -
Nun aber die Bilder:
[Foto des Hauses in Heumar, Bahnhofstr.78 (heute Wickingerstr.14) von der Strasse aus gesehen.]
Ich weiß nicht, ob Du dieses Haus wiedererkennst? Es wartet auch darauf, Dich noch einmal kommen zu sehen. Vielleicht bevor der Nussbaum davor wieder kahl wird.
Das ist meine Gartenbank unter den Kirschbäumen. Leider war die Blüte bereits vorüber. Dafür liegt ein Fliederstrauß darauf. Das Buch kann man gar nicht erkennen – ich wollte ein Stilleben fotografieren.
Hinter meinem Garten am Nachbarhaus ein blühender Apfelbaum – es war ein wundersamer Duft und ein entzückender Anblick, wie ein riesiger Strauss zartester Rosen.
Hier ist Reichtum und Schönheit der Blüten glücklicher getroffen. Meine Hausgenossin hat das Bild gemacht. Schade, dass ich wie ein armes Kind darunter stehe – aber vielleicht magst Du mich auch einmal sehen.
Das ist der Stroppi – vor den Beerensträuchern an meinem Garten. Im Hintergrund siehst du wieder die Bank. Der Stroppi sieht hier recht alt und faul aus, in Wahrheit ist er ein höchst lebendiger, verspielter Hund. Das siehst Du---.
Hier, wo er eben beginnt, ein mächtiges Loch zu graben, in das er hin und wieder seine Nase tief hineinsteckt, um nach Mäusen, Maulwürfen oder gar Kaninchen zuschnüffeln. Hinterher hat er dann einschwarzes Gesicht mit dicken Lehmklumpen im Bart, - ein urkomischer Anblick.
Einmal wollte ich ihn in seiner ganzen Schönheit und Gestalt aufs Bild bekommen, und dazu war Plätzchenfüttern das einzige Mittel. Wir befinden uns da hinter meinem Garten auf dem Weg zum Nachbarhaus. Es wäre nett, wenn Du nicht nur den Stroppi gern ansehen würdest---
Doch das Schönste für Dich kommt zuletzt - :
[Foto mit Haus in Bickendorf, Weißdornweg 9 , Elternhaus von Dr.Th.H.]
Dies wirst Du gleich erkennen -. Mir fiel eines Tagesein , dass ein solches Bildchen Dir vielleicht Freude machen würde, und nachdem ich mir ausgerechnet hatte, wann die Sonne dort scheinen müsste, habe ich mich mit Stroppi als Vorwand auf den Weg gemacht. Ich hatte schreckliches Herzklopfen, aber niemand hat mich weiter beachtet, sodass ich noch ein zweites Bild wagte:
Es ist weine Viertelstunde später aufgenommen, da war ich schon einwenig frecher, aber dafür ist es auch noch etwas besser geworden, nicht wahr? Sogar der Stroppi ist zufällig mit darauf. Ich habe das Bildchen so lieb gewonnen, und Dir wird es hoffentlich eine kleine Freude sein. Ich wünsche Dir, dass Du dieses liebe Haus recht bald wiedersiehst.