Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 5. September 1943
5.IX.43 [westlich von Charkow]
Liebes Röschen,
gestern erhielt ich das große Paket mit der entzückenden Buchhülle und „Die Fantasien im Bremer Ratskeller“. Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Den Marzipan und die Mandeln habe ich mir schon einverleibt. Sie mundeten hervorragend. Die Verpflegung ist momentan hier sehr gut – im Gegensatz zu den vergangenen Wochen, wo, solange wir umschlossen waren, nur selten ein Verpflegungswagen ankam. Wir liegen hier circa 50 km westlich Charkow. Dieser Abschnitt ist au moins pour l’instant bedeutend ruhiger. Die Russen greifen zwar an, es ist ein Hin und Her, vor allem besteht aber nicht eine derartige Überlegenheit von schweren Waffen ihrerseits. Doch so etwas kann sich von Stunde zu Stunde ändern. Das wäre natürlich in jedem Falle sehr ungünstig. Deine kleine Mozart-Novelle traf vorgestern ein und ich hatte Zeit und Muße, mich etwas zu vertiefen. Nur hier und da ein Granatwerfer-Einschlag, im übrigen ca fait très calme.
Es ist eine zarte, liebenswürdige Novelle – Hugo von Hoffmannsthal hat so schön von ihr geschrieben in seinem Aufsatz „Deutsche Erzähler“ (Reden und Aufsätze im Insel-Verlag, die ich Dir dringend ans Herz lege). Die dichterische Einführung in Don Giovanni und vor allem die eindrucksvolle Darstellung des übermenschlichen Finales, der Untergang des Helden.
„Wie aus entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen, eiskalt, Mark und Seele durchschneidend ,herunter in die blaue Nacht ... der ganze lange entsetzenvolle Dialog [?], durch welchen auch der Nüchternste bis an die Grenzen menschlichen Vorstellens , ja über sie hinaus gerissen wird, wo wir das Übersinnliche schauen und hören und innerhalb der eigenen Brust von einem Äußersten zum anderen vollends uns hin und her geschleudert fühlen.“
Weißt Du, ich habe Don Juan einmal gesehen, aber ich habe noch nie eine so vollendete Darstellung gehört wie die des Glyndbourne [?] Ensembles, die ich Dir nun einmal vorführen wollte und die wir bei unseren letzten Programmen vergessen hatten. Ca serait donc pour une autre fois.
Lebe recht herzlich wohl
Dein Theo