Rosalie Schüttler an Freund Theo Hoffmann, 17. September 1943
17.9.43
Lieber Theo,
ich danke Dir für Deinen weiteren lieben Brief, er ist viel schneller gelaufen als der vorige, so dass er schon diese wenigen Tage nach ihm angekommen ist. Ich war so glücklich überrascht und habe ihn erst vor Freude zwischen meine Hände gepresst - war er doch zunächst ein Zeichen, dass Du lebst, dass Du nicht abgeschlossen bist von der Heimat - Gott, so soll es bleiben! - Du ergreifst mich tief, mit allem, was Du mir schreibst, und mitten in meiner Besorgnis freue ich mich, wie Deine Seele den Ausweg gefunden hat in dem Grauen Deines Erlebens, wie Dein Geist ungebrochen und großer Gedanken fähig bleibt. Immer wieder muß ich Deine Worte lesen. Wie Du die wunderbaren Zeilen aus dem Schicksalslied erwähnst, muss ich an ein anderes denken, das so wahr aus Deinem Brief heraus klingt, es ist dies:
Die Götter
Du stiller Äther immer bewahrst Du schön
Die Seele mir im Schmerz, und es adelt sich
Zur Tapferkeit vor Deinen Strahlen,
Helios! Oft die empörte Brust in mir.
Ihr guten Götter! Arm ist, wer euch nicht kennt,
Im hohen Busen ruhet der Zwist ihm nie,
Und Nacht ist ihm die Welt, und keine
Freude gedeihet und kein Gesang ihm.
Nur ihr, mit eurer ewigen Jugend, nährt
In Herzen, die euch lieben, den Kindersinn,
Und lasst in Sorgen und in Irren
Nimmer den Genius sich vertrauern.
Das mußte ich Dir heute sagen.- Zu ausführlicher Antwort, wie ich möchte, komme ich jetzt leider nicht. Wenn ich abends vom Dienst komme, habe ich an der Vorbereitung zur Versorgung der Heumarer mit Einkeller-Kartoffeln
zu arbeiten. Diese Dinge sind ja immer an Termine gebunden. Bald schreibe ich weiter - inzwischen ist Dein lieber, langer Brief mein ganzer Gedankeninhalt. Du hast so manches gute Wort für mich - und keinen Augenblick vergesse ich, wie Du in Deinem Erdloch leben mußt. Oft bin ich versucht, Dir inbrünstig eine quälige Krankheit zu wünschen, die Dich zurückbringt aus aller Gefahr. Zuweilen wundere ich mich, wie ich mit den Kollegen oder sonstigen Leuten sprechen oder gar lachen kann, während mein Herz so voller Unruhe ist und Tränen immer hinter meinen Augen stehen. Könnte ich doch ein klein wenig Dir helfen, Dir bringen, wonach Du Dich sehnst! Wie belanglos sind mir jetzt unsere Alarmnächte geworden. Eine ganze Weile war es ruhig, bis heute abend wieder einige Bomben hier auf den Flugplatz fielen.
Ich wollte Dir noch Plätzchen gebacken haben, nun ist das zu spät geworden, aber in den nächsten Tagen ist wieder ein Paketchen für Dich fertig. Ich denke an das letzte, große mit dem Leinenhöschen, das für so leichte, frohe Stunden bestimmt sein soll. Wie seltsam muss das jetzt Dich berühren, wenn Du es bekommst. -
Hast Du wohl alle meine Briefe erhalten? Du bist mir doch nicht böse, dass ich im Letzten meine Traurigkeit über Dein jetziges Schicksal so unbeherrscht vor Dir ausgebreitet habe? Ich will ja zu Deinen schweren Tagen nicht noch dazu tun.- Bitte sag es mir, wenn ich etwas für Dich besorgen oder sonst tun kann, lieber Theo.
Gott erhalte Dich, Deinen Starkmut – Dein liebes Leben!
Deine Röschen