Gisela W. an Theo Hoffmann, 25. Oktober 1943

Nr. VI
Labor 11 Uhr
Krakau, 25.10.43

Mein lieber Theo!

Donnerstag sind es jetzt 7 Wochen, seit ich die letzte Post von Dir erhielt. Ich bin in großer Sorge, wie es Dir gehen mag. Bei diesen wahnsinnig schweren Kämpfen kann ich es ja vollkommen verstehen, wenn Du keine Zeit zum Schreiben hast und ich glaube bestimmt, dass Du es tust, sobald Du dazu kommst. Jeden Tag, wenn ich aus dem Dienst komme, ist mein erster Blick auf den Briefschlitz, der klafft nämlich etwas, wenn Post eingeworfen wurde. Was wird die Zukunft noch alles bringen? Bei uns im SS (Sanitäts?)ist allerhand los. Hast Du Annuschs Päckchen mit den Handtüchern und meins erhalten?

Das Wetter ist wieder sehr schön geworden, ein herrlicher Herbst. – Ich bin jetzt meistens allein in der Wohnung, denn Rosamunde von Schmuck, das Mädchen , mit der ich zusammen wohne, ist meistens bei ihrer Freundin, wo sie auch schläft.

Da will sich manchmal ein komisches Gefühl bei mir einschleichen, alles ist so ruhig und man hört auf jeden Laut; die Möbel oder der Fußboden knackt und von der Strasse dringt die Unruhe herauf, in meinem Wohnviertel ist immer was los. Oft liege ich zeitig im Bett, höre Radiomusik und lasse meine Gedanken wandern, zu Vergangenem und Zukünftigem, aber am besten ist es, man denkt an die schönen Stunden. Und dazu gehören ja auch unsere gemein-

samen in Danzig –Zoppot. Denkst Du noch daran? Vielleicht hast Du nicht mal Zeit dazu? Möglich auch, dass es bei Dir am stärksten nachhallt, da es die letzte Unbeschwertheit war, als Du an die Front fuhrst. Bei uns geht das Leben auch weiter und der Alltag rollt über alles. Ich sehe mich noch in Danzig auf dem Bahnhof stehen mit zugeschnürter Kehle, nichts Geistreiches wollte mir einfallen. Es ist stets ein eigenartiges Gefühl, jemanden zum Zug zu beleiten, immer wieder auf den Zeiger der Normaluhr zu starren und die letzten Minuten des Beisammenseins verrinnen zu sehen. Man möchte noch etwas Liebes, Nettes sagen und tut es doch nicht, weil es einem leer vorkommt. Man hofft nur, dass der

andere alles so empfindet wie man selbst. –

Ich hatte vor ein kleines mit Bildern versehenes Büchlein zu verfertigen, das unsere Ferientage verewigt, angefangen mit dem Sichkennenlernen bis zum Abschied. Vielleicht bringe ich es noch dazu, es müsste wohl anfangen: Es war einmal...Auch von diesem großen Kriege werden wir einmal sagen: Es war einmal.

Nun muss ich wieder an meine Arbeit, bald ist die Mittagspause da.

Sei recht lieb gegrüßt
Deine Gisela

P.S. Am Sonnabend, den 23.10. waren es 3 Monate, da wir uns in Zoppot kennen gelernt haben, das war am 23. Juli.