Rosalie Schüttler an Freund Theo Hoffmann, 26. Januar 1944
Die Zahl 22 in dem Kreis muss richtig vor die Ortsangabe, das ist unsere „Postleitzahl“, die eine schnellere Postbeförderung gewährleisten soll. Eine Neuheit.
26.1.44 [Poststempel- Luftfeldpost]
Lieber Theo!
Heute ist nach langen Wochen endlich wieder ein hellstrahlender Sonnentag - ein glücklicher Tag: mit der Sonne kam Dein lieber Brief. Er passt so wunderbar zu diesem Tag voller Licht, der die Seele über alles Schwere hinweg in Hochstimmung versetzen möchte. Und so haben Deine lieben, wundervollen Worte mir erst die Stunden mit dem rechten Glanz erfüllt. Ich bin beinahe übermütig vor Freude - das ist aber erst bis heute Nachmittag so geworden, zuerst war meine Freude tief und still..., weil Du an mich denken wolltest in den heiligsten Stunden des Jahres. Ich habe, Dir im Herzen dankend, mein Gesicht in Deinen Brief gelegt, und das ist fast so, als könnte ich mein Gesicht in Deine lieben Hände legen. -
Es ist so schön und lieb, wie Du auf meine Briefe antwortest. Ich freue mich, dass sie Dir ein wenig wertvoll sind - dass ich Dir von all meinen Empfindungen sagen kann, und dass Du mich so gut verstehst. Du gibst mir dafür Deine Gedanken, Deine schönen, tiefen Gedanken zurück, die lange in mir wirken und Seele und Geist mir beschäftigen. O Theo, der Mensch ist das seltsamste Wunder Gottes. Mit der letzten Zeile Deines Briefes hast Du mich von neuem ergriffen. Lass Dir doch keinen Augenblick trüben von irgendeinem Schuldgefühl, lieber Theo! Ich denke nie an schmerzvolle Stunden, die Glücklichen leben viel zu hell in mir, und jeder kleinste Deiner Grüße ist ein neues Glück für mich. -
Dass Du aber meinen Brief von Allerheiligen erst sozusagen zu Weihnachten bekommen hast, das ist doch tief betrüblich, das sind ja fast zwei Monate - aber schließlich kann ich dann auch hoffen, dass Du die übrige Post von mir vielleicht ebenfalls noch bekommst. Es sind so viele Briefe, die ich Dir nach dem 1.11. bis zum Ende des Jahres an [Feldpostnummer] 13459 noch geschrieben hatte, und es würde mir doch leid tun, wenn sie alle nicht in Deine Hände kämen. Du wirst ja der alten Feldpoststelle Deine neue Feldpostnummer angegeben haben?
Ich konnte jetzt zu meiner Freude zwei Luftpostmarken gegen zwei Fleischmärkchen einhandeln, und so schicke ich diesen Brief wieder mit Luftpost, damit Du nicht so lange auf einen Gruß warten musst. –
Ich hätte mir auch gewünscht, dass mein Paketchen gut bei Dir angelangt wäre; schreibe es mal, ob Du noch irgend etwas erhalten hast- , zurückgekommen ist bisher nichts. Deine Briefe laufen jetzt auch meist so lange - dieser jetzige wieder 23 Tage - ist es nicht eine Schande? Doch ich will
nicht darüber klagen - wenn ich nur immer wieder Nachrichten von Dir bekomme, dann ist ja alles, alles gut.
Ich sorge mich zuweilen sehr um Deine Stellung so tief im Bogen der Front. Einige Male wurde in den letzten Tagen auch Tscherkassy wieder im Wehrmachtsbericht erwähnt. Das ist nach wie vor ein Schrecken für mich. Ich möchte Dich so gerne weiter zurück wissen, lieber Theo! Zuweilen sieht es so aus, als ob einmal ganz plötzlich die Katastrophe hereinbrechen könnte. –
Ich schrieb Dir ja von der geplanten Evakuierung aller Kinder - das hat einen kleinen Aufstand gegeben. Keiner der Eltern wollte die Verschickungsverpflichtung unterschreiben, ihnen scheint jetzt Schlesien gefährlicher noch als Köln. Welch ein klares Misstrauensvotum des Volkes! Die ganze Aktion ist tatsächlich abgeblasen worden .-
Im Augenblick lassen die Flieger uns eine kleine Atempause, und ich genieße diese Abende mit lauter Musik, an meinem Radio - keine großen Besonderheiten, aber viel geliebte Namen, geliebte Klänge, die ich so sehr Dir zu hören wünsche. Du wirst sie hart genug entbehren, Du Armes. Wie mag jetzt so ein Tag vom Morgen bis zur Nacht für Dich ablaufen? Ach, mich interessieren da auch die kleinsten Dinge. -
Ich habe endlich Dein Paketchen fertiggemacht lieber Theo, leider ohne das Buch, das ich vergeblich zu erhalten hoffte, und übermorgen früh nehme ich
es mit nach Köln zur Post, hier kommt es bestimmt nicht eher fort. Es beginnt wieder eine Dienstwoche für mich und so ist heute und morgen Feiertag für Briefe an Dich.
Ich bin bis auf den Husten wieder gesund, mein heutiger Gang zum ‘Heidehof’ hat mir sehr gut getan. Jetzt scheint die Sonne mir auf die Hände, sie neigt sich schon, mein ganzes Zimmer ist voller Gold, und der jetzt blätterlose Nussbaum vor dem Fenster lässt ungehindert all das Strahlen ein. Sonnentage im Januar, die ohne Schnee und Frost sind, lassen in Licht und Geruch schon den Frühling ahnen - ich habe die berauschende Vorstellung, es müsste jetzt Frühling werden, und endlich dürfte kein Krieg mehr sein. - ah welch ein Aufatmen der Welt das wäre! Kaum noch auszudenken - Du wärst da, und Du würdest zuweilen mich besuchen zu einem wunderbaren Fest des Geistes und der Sinne.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich wieder an meinem Tisch sitzen - genau ein halbes Jahr ist seither vergangen. Ich habe solches Heimweh nach Dir lieber Theo.
Jeden Abend vor dem Einschlafen wandert meine Seele fort und sucht Dich auf. Wenigstens in der Nacht möchte ich Dein Schutzengel sein und Deinen Schlaf bewachen. Ich würde Dein geliebtes Gesicht betrachten, und zuweilen müsste ich leise Dich küssen.
Du wachst kurz einmal auf und denkst an mich, und wenn Du einmal in einer tiefdunklen Zaubernacht im Halbschlaf meinen Namen sprichst, dann wirst Du mich erkennen und mich zu Dir ziehen mit Deiner zärtlichen Gewalt –
und mir wäre die Macht gegeben, dir alle Seligkeiten der Erde zu schenken--- das sind so Traummärchen der Sehnsucht.
Alles Glück mit Dir und Deiner Arbeit lieber Theo -
Deine Röschen