Theo Hoffmann an Freundin Rosalie Schüttler, 23. Oktober 1944

Karlsbad 23.X. [1944]

Liebes Röschen,

verzeih mir, dass ich Dir wo wenig schreibe – das ist schon viel für mich - schreibe ich doch niemandem und fühle auch kein Bedürfnis dazu, mit einer einzigen Ausnahme natürlich, die meiner Eltern.

Du weißt, dass ich recht schwer erkrankt war, an einer Sache, an der ich selber verzweifelt, die mich völlig entkräftet hat. Die Wirkung der Kur ist bisher eine durchaus Positive. Ich kann natürlich nicht allzu viel verlangen, wo ich soweit herunter gekommen bin.

Karlsbad ist wunderschön,, seinem Ruf entsprechend; doch ich lebe einsam und fühle kein Verlangen, diese zu durchbrechen oder mich irgendwelchen Distraktionen hinzugeben. Außerdem habe ich das absolute Bestreben, der Wiederherstellung meiner Gesundheit zu leben, auch wenn dieses Streben vergeblich

sein sollte. Ich habe einen einzigen Brief von Dir in Wien erhalten; ich hätte Dir gerne darauf geantwortet, wenn ich in dem Maße fähig gewesen wäre, auf Deine Gedankengänge einzugehen. Dein Erlebnis mit der „Pathetique“ empfand ich tief, weckte es doch in mir Erinnerungen an durchwachte Nächte mit ihr, wo ich mich ihren Schmerzen und ihrer Glut hingab. Ich machte jeden einzelnen Satz, jeden Takt mit. Das Durchleben, es muss eine berauschende Gemeinsamkeit werden.

Meine armen Eltern sind bis zum 15.X. von der Luftkatastrophe verschont geblieben. So bin ich glücklich, wenn ich höre, dass das Schlimmste über sie wie auch über Dich nicht hereingebrochen ist, und man muss doch dessen jeden Tag gegenwärtig sein. Ja, es steht noch Furchtbares bevor, bevor die Dissolution des Reiches Tatsache

wird. Man schreitet zu den letzten Mitteln der Frauen, Greise und Kinder. Ich erinnere mich, als ich einmal im Bürgerspital diese Prognose stellte, ich nur selbst bei sonst wohl gesinnten Kollegen einen heftigen Widerspruch und im [...] völlige [...]zu zog. Es wird Wahrheit, was uns die Musik nur schon lange in ihrem tiefen Spiegel offenbarte.

Stehst Du mit meinen Eltern noch telefonisch in Verbindung? Das gemeinsame Schicksal wird bei meiner Mutter wohl manche Schwierigkeiten unterdrücken.

Doch wie geht es Dir, Liebe?

Schreibe mir recht oft und viel, Du weißt,

dass ich so gerne Deine Worte lese, weil sie einem wohl tun. Abgesehen davon ist Dein Stil immer excellent und zuweilen von einer seltenen Prägnanz der Sprache.

Weißt Du Röschen, ich möchte so schreiben können, wie ich sprechen kann. Du kannst es - dieses Unvermögen ist leider eine Tatsche, während es bei Dir Bescheidenheit ist, wenigstens mir gegenüber, nicht so zu sprechen, wie es Deine Briefe so wundervoll auszeichnet.

In Liebe
Dein Theo

Man hat sich dazu bequemt, mich mit Wirkung vom 1.6.44 zum Oberarzt zu befördern.