Rosalie Schüttler und Theo Hoffmann: Eine problematische Liebe im Krieg
Am Briefwechsel zwischen Rosalie Schüttler und Theo Hoffmann sind nicht nur Inhalt und Formulierungskunst beeindruckend, sondern ebenso die verwickelte, aber wohl durchaus typische Überlieferungsgeschichte. Doch zunächst zu den Protagonisten und ihren Briefen.
Da ist zunächst Rosalie Lüpertz, die im Oktober 1908 als ältestes von vier Kindern eines Textileinzelhändlers in Köln geboren wurde. Als der Vater - vermutlich als Folge von Nachkriegszeit und Inflation - in den 1920er Jahren das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte, wechselte Rosalie von einem katholischen Internat in Süchteln an die Kaiserin-Augusta-Schule in Köln. Nach der „Mittleren Reife" absolvierte sie eine Bürolehre und wurde so bald das erste der Lüpertz-Kinder, das „Geld nach Hause brachte". Sie arbeitete im Büro der Maschinenbau und Bahnbedarf AG auf dem Habsburger Ring.
1934 heiratete Rosalie den Kaufmann Franz Schüttler und zog mit ihm in ein Zweifamilienhaus in Rath-Heumar bei Köln. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und auf einer Marine-Wetterwarte bei Emden eingesetzt. Die Beziehung zwischen den Ehepartnern war aber offenbar bereits zuvor abgekühlt. Nachdem Franz Schüttler nach 1945 aus dem Krieg heimgekehrt war, wurde die Ehe geschieden; beide blieben aber weiterhin in Kontakt.
Seit 1941 wurde Rosalie Schüttler - ohne dass Gründe oder Motive hierfür bekannt wären - als Reisebegleiterin im Rahmen der Kinderlandverschickung eingesetzt. Hierbei lernte sie den jungen, im August 1914 in Köln geborenen Arzt Theodor Hoffmann kennen und bei einem gemeinsam begleiteten Transport nach Rothenburg schließlich auch lieben -eine zu jener Zeit höchst problematische Beziehung, war Rosalie Schüttler doch sechs Jahre älter und außerdem verheiratet.
Theodor Hoffmann stammte aus einem Beamtenhaus. Sein aus dem Saarland stammender Vater Victor, Offizier im Ersten Weltkrieg, zeichnete seit 1919 als Polizeikommissar, später als Polizei-Verwaltungsamtmann in Köln für die Gesundheits- und Lebensmittelüberwachung zuständig. Mutter Maria, Tochter eines Gutpächters aus der Eifel, und Theodors drei Jahre ältere Schwester Josefa lehnten aufgrund ihres streng katholisch geprägten Weltbilds den Nationalsozialismus vehement ab, während sich der verbeamtete Vater mit dem Regime zu arrangieren versuchte.
Sohn Theo erfuhr eine bürgerliche Erziehung, die auf katholischem Fundament basierte, aber dennoch wohl vergleichsweise liberal orientiert war. Durch Eltern und Schwester gefördert, wurden Literatur und insbesondere Musik seine Leidenschaften, die sein Denken und Handeln stark prägten. Wegen enger Verbindungen zu Verwandten im deutschfranzösischen Grenzgebiet des Saarlandes kam Theo zudem früh in engen Kontakt zur französischen Kultur und Sprache. In den 1930er Jahren besuchte er Paris und lernte während eines längeren Aufenthalts im Jahr 1937 das weltstädtische Leben der französischen Metropole kennen und schätzen.
Nach dem Abitur im Jahr 1933 beabsichtigte Theodor Hoffmann zunächst Jura zu studieren, schwenkte dann jedoch auf Medizin um - wahrscheinlich auf Druck der Eltern, die glaubten, dass ihr Sohn als Arzt die NS-Zeit unbeschadeter überstehen könne. 1939 legte Theo in Köln sein Staatsexamen ab und erhielt die Approbation. Danach konnte er, der noch immer an seiner ärztlichen Berufung zweifelte und sich stattdessen intensiv mit Musik und Literatur beschäftigte, Praxiserfahrungen an der Chirurgischen Universitätsklinik in Köln sammeln. Politisch entwickelte er sich in dieser Zeit zu einer Art „kritischen Mitläufer" des NS-Regimes, das er im Grunde zwar ablehnte, ihm aber keineswegs mit einem auch nur ansatzweise widerständigem Engagement begegnete.
Als sie sich erstmals 1941 trafen, stimmten die Meinungen von Rosalie und Theo in dieser Frage vollkommen überein. Wichtiger für Entstehung und Fortbestand der Beziehung war aber eindeutig die gemeinsame Liebe zu Musik und Literatur, wobei es allerdings so gewesen zu sein scheint, dass Theo den „Lehrmeister“ gab, dem die eifrige „Schülerin" gehorsam folgte und stets zu Gefallen zu sein versuchte.
Nach Überwindung gesundheitlicher Probleme erfolgte im März 1942 Theo Hoffmanns Einberufung zur Wehrmacht. Nach der Grundausbildung wurde er zum Aufbau von Feldlazaretten zunächst ins geliebte Paris beordert, wo er, bevorzugt durch seine Sprachkenntnisse, in vollen Zügen dessen kulturelles Leben genoss. Mitte August 1942 erfolgte dann jedoch die Abordnung zu einer Chirurgenstaffel bei der Heeresgruppe Süd in Russland, zunächst nach Stalino, danach nach Rostow. Hier nun erlebte Theo die brutale Konfrontation mit dem Krieg. So musste er beispielsweise eine große Zahl Verwundeter operieren, die aus Stalingrad kamen. Aufgrund der hierbei gesammelten Erfahrungen schätzte er die militärische Lage bereits zu einem frühen Zeitpunkt so realistisch wie kritisch ein und machte daraus trotz drohender Zensur in seinen Briefchen an „Röschen“ auch keinen Hehl. Schon im Herbst 1942 befürchtete er in Stalingrad ein „zweites Verdun" und blickte mit Häme auf die gegenteiligen deutschen Propagandabemühungen.
Mit Beginn des Jahres 1943 begann auch für Theo Hoffmann der Rückzug Richtung Westen, der zur Jahresmitte einmal kurzzeitig durch einen Heimaturlaub in Köln unterbrochen wurde, als er an das Bett seiner schwer kranken Mutter gerufen wurde. Bei dieser Gelegenheit traf er sich mit Rosalie häufig in deren Wohnung in Rath-Heumar; sie hörten Musik, diskutierten darüber und lebten das Leben von Verliebten, was ihnen half, zumindest zeitweise den Ängsten des Kriegsalltags zu entfliehen.
lm Mai 1944 folgte ein zweiter „Heimaturlaub", während ansonsten der teilweise chaotische Rückzug seine Fortsetzung erfuhr. Mitte 1944 wurde der Dienst in Russland dann aber durch eine Gallenblasenentzündung beendet und Theo Lazarett-Patient zunächst in Budapest, dann in Wien und schließlich in Karlsbad. Ab September 1944 als Musterungsarzt in Berlin aktiv, genoss der Genesene das Kulturleben in der untergehenden Reichshauptstadt, bis er als Oberarzt in ein Lazarett in Neuruppin versetzt wurde. Als die russische Armee bedrohlich nah gerückt war, setzte sich Theodor Hoffmann nach Westen ab, geriet in Lübeck nach der Kapitulation in britische Gefangenschaft, während der er zum Chefarzt eines chirurgischen Lazaretts aufstieg.
Neben Röschen gab es noch weitere Korrespondenzpartnerinnen und -partner, die es kurz vorzustellen gilt: Von Vater Victor war bereits die Rede. Er hielt die „Stellung" in Köln und seinen Sohn über die innerfamiliären Geschehnisse, besonders den Gesundheitszustand der Mutter, auf dem Laufenden. Außerdem kümmerte er sich um die Auslagerung wesentlicher Teile des Hausrats aus dem bombenbedrohten Bickendorf zur Verwandtschaft nach Lothringen. Die ältere Schwester Josefa war in einer Munitionsfabrik dienstverpflichtet, danach im Sekretariat der Universitätsklinik. Auch sie schildert die Lage der Familie und ihre eigenen Befindlichkeiten im Kölner Kriegsalltag. Außerdem begleitete Josefa die kranke Mutter im Herbst 1943 in einen längeren Erholungsurlaub in den Vogesen.
Neben diesen familiären Beziehungen gab es noch Annemarie F., eine 18-jährige, zur NSV dienstverpflichtete Abiturientin aus Köln-Deutz, die Theodor Hoffmann während dessen Heimaturlaubs im Juli 1943 in Neuenahr kennen lernte und sich ganz offensichtlich in ihn verliebte. Sie, Tochter eines Gymnasiallehrers und ebenfalls streng katholisch erzogen, schrieb ihm daraufhin Briefe an die Front - schwärmerisch, emotional, kulturbeflissen, aber auch erfüllt vom Ärger einer um ihre Jugend betrogenen Heranwachsenden. Sieben dieser Schreiben sind erhalten. Annemarie wünschte sich nichts sehnlicher als das Ende von Parteidiktatur und Krieg.
Dann ist Gisela W. aus Neustadt in Westpreußen zu nennen, die als Apotheken-Helferin nach Krakau dienstverpflichtet worden war und Theo Hoffmann im Juli 1943 während eines Urlaubs in Zoppot bei Danzig kennenlernte. Zwischen August und Dezember 1943 wechselten beide zehn Briefe.
Im Zentrum der Korrespondenz stehen aber eindeutig die rund 80 Briefe, die Rosalie Schüttler und Theo Hoffmann wechselten und die in vielen Punkten außergewöhnlich sind und für sich selbst sprechen dürften. Die gesamte Korrespondenz ist - insbesondere von ihrer Seite - voll von Sehnsucht und Hoffnungen, aber auch angefüllt mit Lebensängsten vor der „Kulisse" eines sowohl an den Fronten als auch an der „Heimatfront" immer „totaler" werdenden Krieges. Waren es in vielen anderen Briefwechseln der Kriegszeit der Glaube, die Familie oder die Liebe, die den Schreibern einen Halt im eskalierenden Chaos zu geben vermochten, so sind es hier die kulturellen Interessen mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Musik.
Vielleicht waren es diese während des Krieges gemeinsam durchlebten und durchlittenen Phasen von Angst und Sorge, von kulturellem Genuss und Liebe, die die in Teilen durchaus auch eigenartig anmutende Beziehung zwischen Rosalie Schüttler und Theodor Hoffmann bis zu ihrem Leben sende währen ließen. Theo, der 1948 an der Universität Köln promovierte, zog es 1950 ins geliebte Paris, wo er sich als erfolgreicher Chirurg, medizinischer Gutachter in NS-Prozessen und Vertrauensarzt der deutschen Botschaft beruflich und gesellschaftlich etablierte. Rosalie, zwischenzeitlich geschieden, blieb dabei stets die Frau an seiner Seite, ohne dass das durch einen Trauschein bestätigt worden wäre. Die beiden so eng aufeinander bezogenen, im Grunde aber wohl sehr unterschiedlichen Menschen wurden miteinander alt. Rosalie Schüttler starb, nachdem sie kurz zuvor aus Paris hierhin hatte umziehen müssen, im März 2003 in einem Kölner Altenheim, Theodor Hoffmann im Februar 2004 in Paris.
Spannend wie der Inhalt des Briefwechsels ist seine Überlieferungsgeschichte. Es ist einem puren Zufall und einem Kölner Journalisten zu verdanken, dass die interessante Korrespondenz der Nachwelt erhalten blieb. Gerd Albaum ist nämlich nicht nur Journalist, sondern auch eifriger Flohmarktgänger. Als solcher besuchte er im Jahr 2000 einen Markt in Bonn und nahm dabei an einem der Stände einen vergilbten Briefumschlag in die Hand - und war gefangen! Es handelte sich um einen der hier abgedruckten Briefe von Rosalie Schüttler an Theodor Hoffmann. Albaum kaufte das gesamte Konvolut und machte sich daran, den Text zu transkribieren und - vom Inhalt der Briefe fasziniert - gleichzeitig Recherchen aufzunehmen. Und tatsächlich: Er macht das Haus in Rath-Heumar ausfindig, erfuhr, wo Theo Hoffmann in seiner Kölner Zeit gewohnt hatte und dass die Briefe aus dem Nachlass von Josefa Hoffmann stammen; außerdem erhielt er die Pariser Telefonnummer von Theo. Ein Telefonat ergab den Hinweis, dass „Röschen“ noch lebte, 93 Jahre alt war und seit kurzem in einem Kölner Altenheim wohnte. Ein Termin war schnell gemacht und im Sommer 2001 stand Gerd Albaum vor jener Frau, deren anrührende Briefe er durch puren Zufall in die Hände bekommen hatte. Da der schmerzhafte Umzug von Paris nach Köln mit der damit verbundenen Trennung von Theo Hoffmann noch zu frisch war, wollte diese jedoch nicht über die damalige Zeit sprechen. Aber das Treffen brachte den Journalisten auf den Weg zu ihrer Familie, und die erzählte über die Nachkriegszeit, Theos Karriere und die Rolle, die „Röschen“ dabei gespielt hatte. Damit wäre, zumal sie bald darauf starb und auch Theo nicht mehr lange leben sollte, die Geschichte eigentlich am Ende gewesen. Gerd Albaum fasste tatsächlich den festen Entschluss, die Briefe an die Familie zurückzugeben.
Aber es kam anders. Bei der Auflösung einer Eigentumswohnung in Köln-Mülheim, die Rosalie Schüttler trotz ihres Wohnsitzes in Paris über all die Jahre als rheinisches Domizil weiter unterhalten hatte, tauchten nun auch Theos Briefe auf; und nicht nur jene aus dem Zeitraum 1943/44, sondern seit 1942 und bis weit in die 1950er Jahre. Die Familie überantwortete den kleinen Schatz an Gerd Albaum, der wieder transkribierte und darüber nachdachte, wie er als Journalist und Autor mit dem Material und dem darin enthaltenen „Stoff“ umgehen sollte. Nachdem sich seine Überlegungen in Richtung einer eigenständigen Publikation zerschlagen hatten, übergab er den von ihm mühsam zusammengetragenen „Schatz“ an das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, wo er seitdem unter der Signatur N 672 aufbewahrt wird.
Mit dieser Übergabe stellte Gerd Album auch sämtliche Abbildungen und Informationen zur Verfügung, die er im Rahmen seiner langwierigen Recherchen zusammengetragen hatte. Für all das sei ihm sehr herzlich gedankt. Außerdem gilt es Rudi Lüpertz, dem Bruder von Rosalie, sowie den Nichten Inge Tabel und Rita Wichelhaus für ihre tatkräftige Unterstützung, die sie Gerd Albaum zuteil werden ließen, einen Dank auszusprechen.