Horst Schmitt an seinen Vater, 30. Mai 1942

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Nagold, 30.V.42

Lieber Vater!

Nun bin ich wieder gesund und kann Dir schreiben. Du wirst fragen: Bist Du denn krank gewesen? Allerdings. Und zwar ziemlich schlimm. Na ich will Dir alles der Reihe nach erzählen. Am Pfingstmontag hatten wir hier schönes, ja sehr schönes Wetter. Als ich aufstand merkte ich, dass mir nicht wohl war. Ich hatte Kopfschmerzen und fühlte mich ganz zerschlagen. Trotzdem stand ich auf, zog mich an und machte Stubenabnahme und Flaggenappell. Doch es wurde immer unerträglicher. Obwohl ich die Winterdienstuniform bei dem schönen und heissen Wetter angezogen hatte, frohr ich wie ein Schneider. Wie eine brummende und knurrende Katze zitterte ich am ganzen Körper. Beim Frühstück trank ich nur eine Tasse Kaffee. Dann legte ich mich ins Bett. Ich packte mich ein, als ob es Winter wäre und das Schlafzimmer nicht geheizt sei. Ich frohr immer mehr. Um 10.30 Uhr kam der Doktor und ich hatte 37,9° Fieber. Als er zu mir auf das Zimmer kam, fragte er mich, ob ich schon gegen Diphterie geimpft sei. Als ich das verneinte, wurde sein Gesicht sehr bedenklich. Ich wurde isoliert, d. h. keiner durfte mehr zu mir herein. Es wurde ein Abstrich gemacht und nach Stuttgart gesandt. Mittags hatte ich

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40,3° Fieber. Dabei wurden die Kopfschmerzen immer noch grösser. Aber abends besserte es sich schon etwas. Ich hatte „nur“ noch 38,6° Fieber. In der Nacht von Montag auf Dienstag habe ich dann ganz „toll“ geschwitzt. Ich war am anderen Morgen so nass, als wenn ich mit dem Bett ins Wasser gefallen wäre. Aber ich fühlte mich wesentlich besser, hatte keine Kopfschmerzen mehr und war schon wieder zum Essen bereit. Aber der Arzt sagte nichts von Besserung. Er ist ein ziemlicher Stoffel und psychologisch gar nicht auf der Höhe. Nun schwebte mir noch das Gespenst Diphterie vor. – Was ich an den beiden Tagen nicht alles mitgemacht habe. – Dann lag ich noch zwei Tage und stand dann auf. Von der Diphterie habe ich nichts mehr gehört und gemerkt. Aber Haken waren doch noch da: nämlich ich war sehr, sehr schlapp und hatte einen ganzen Tag und eine ganze Nacht Blähungen von dem elenden Wasserstoffsuperoxyd, von dem ich einmal versehentlich etwas getrunken hatte. Es war schrecklich. Doch jetzt, d. h. am Samstag morgen fühle ich mich wieder wie sonst, als ob nichts gewesen wäre. Das war eine dumme Geschichte. Aber nun ist alles vorbei und Du kannst ruhig kommen.

Was macht denn Bonn noch? Ist es dort immer noch so schön? Bist Du schon in Hersel und in Godesberg, oder im Uedorf gewesen? Fährst auch mal nach

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Brühl? Ich erhalte nun gerade Eurer Karte. Vielen Dank. Mutter und Helmut gefällt es doch sicherlich gut.

Aber nun kommt noch etwas anderes. Ich hatte den Brief gerade fertig adressiert, da kommt der Herr Doktor. Na, ich denk, Du kannst mich mal kreuzweise usw. Ich habe ja nichts mehr. Ich gehe zum Mittagessen. Da kommt auf einmal der Lagerleiter und sagt, der Zugf. und ich sollten raufkommen zum impfen. Wo gegen? Gegen Diphterie. Na wir beide gehen herauf. Oben angekommen, sieht es in unserem Arbeitszimmer wie in einem Operationszimmer aus. Allerhand Instrumente, wie Spritze und Ampullen, oh Grausen, welche Erinnerungen tauchen auf, und noch sonstige Salben und Pullen bevölkern den Tisch. Wir beide machen unseren Oberkörper frei und dann gehts los. Aber es tat garnicht weh. Doch dann kam das Nachspiel. Eine halbe Stunde später lege ich mich ins Bett zum Mittagsschlaf. Als die Zeit um war, konnte ich nicht aufstehen. Ich bin ganz schlapp und habe beim Fiebermessen wieder 37,9°. Auch ziemliche

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Kopfschmerzen hatte ich. So gehts bis zum Abend. Da habe ich 39,8°. Bald wie am Anfang! Aber ich fühle mich sonst garnicht krank, bloss schlapp. In der Nacht habe ich ordentlich geschwitzt und am anderen Morgen war das Fieber wieder weg. Als der Arzt kam, meinte er: „Na wenn er so auf die Spritze reagiert, ist das ein gutes Zeichen. Die zweite Spritze, die gewöhnlich bei Diphterie ausgegeben wird, brauchte ich ihm nicht zu geben. Also kann Fieber auch sein Gutes haben. Das war nun meine Impfung gegen Diphterie.

Gestern nun kam ein Stammf. (bestätigter, mit vier Sternen) vom Gebiet und inspizierte. Nun wisst Du ja schon, dass wir hier einen Drachen haben als Heimleiterin. Nun war dieser Esel von HJ-Führer zur unserer Alten gegangen und hat sich von der den Kopf vollblasen lassen. Nun fing er an, den Lagerleiter irgendetwas vorzuwerfen. Da wurde Herr Noelle, unser Lagerleiter verärgert und setzte dem HJ-Führer den Kopf zurecht. Denn kam er zu mir. Kaum sah er mich, da wurde sein wütendes Gesicht anständig. Ich klärte ihn

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über die Heimleiterin auf. Aber er liess sich durch nichts überzeugen. Es ist nur gut, dass es nicht der KLV-Beauftragte war, dem ich verantwortlich bin. Wenn der kommt, werde ich ihn, der die „Alte“ genau kennt, über seinen Unterführer aufklären. Er wird dann in Stuttgart sein blaues Wunder erleben.

Interessant ist es nun, noch festzustellen, dass die „Alte“ den Lagerleiter und den Lagerzugf. schon ausgeschimpft hat, wo die Jungen dabei waren. Der Lagerleiter hat ihr allerdings bei einer günstigen Gelegenheit anständig Bescheit gesagt. Nur mir hat sie noch kein unanständiges Wort gesagt. Wenn sie was von mir wollte, sagte sie immer, wie sich das nebenbei auch gehört: „Würden Sie so freundlich sein und das und das tun?“ Beim Lagerleiter und Zugf. dagegen sagt sie stets: „Hören Sie mal..“

Augenblicklich haben wir drei, d. h. Herr Noelle, Zugf. und ich, eine solche Wut auf die Alte, dass wir nicht wissen, was wir tun sollen. Die wird nämlich immer frecher. Und der Stammf. wird natürlich alles am Gebiet so erzählen,

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wie er es von der „Alten“ gehört hat.

Nun noch etwas! Du musst nun nicht meinen, dass das Benehmen der Alten mir gegenüber Anständigkeit wäre. Oh, um Gotteswillen nicht. Das ist nur Feigheit. Hinter meinem Rücken, nämlich zu den Jungen erzählt sie die tollsten Sachen. Und das ist es, warum ich dieses „Ekel“ hasse. Wenn die aber meint mich fertigmachen zu können, dann zähle ich zu den alten Jgg. Ich bin schon 5 Jahre HJ-Führer und kann die Heimleiterin eines Methodistenheimes nichts machen. Hinter mir stehen zwei Reichseinrichtungen, nämlich HJ und KLV.

Sollte die Alte mich noch länger belästigen, was mich aufreibt, so breche ich ihr den Hals, d. h. ich sorge dafür, dass sie fliegt.

Doch nun Schluss von dem Schwindel. Ich schreibe Euch das nur, damit Ihr Bescheid wisst, nicht weil ich mich im Augenblick darüber ärgere: Denn ich halte es immer mit dem schönen Sätzchen: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern!“ Nun viele Grüsse an Mutter, Helmut und Dich von Eurem
Horst.
Auch an alle Verwandten viele Grüsse.