Freund Jochen an Horst Schmitt, 23. Oktober 1943

Im Süden d. 23.10.43

Lieber Horst!

Augenblicklich habe ich etwas Zeit, u. da ich nun auch erfahren habe, wo Du steckst, will ich einmal den Anfang machen, damit wir überhaupt noch etwas voneinander hören. Auch Du wirst inzwischen erfahren haben, in welche entlegene Ecke der Erde ich verschlagen worden bin. Die Fahrt hierher war lang u. interessant. In Piräus hatten wir 1 Woche Aufenthalt u. ich bekam 3 Tage Urlaub, um in Athen die Akropolis besteigen zu können. Das habe ich dann auch ordentlich besorgt u. welche Gefühle mich dabei bewegten, kannst Du vielleicht in etwa ermessen. Es entstanden ebenfalls eine Menge Aufnahmen. Nach einer kurzen Seereise erschien dann eines Morgens unser Ziel, die Insel K..... am Horizont. Sie ist die größte der ionischen Inseln. Die ersten Wochen konnte man eigentlich herzlich wenig als Kommiß ansprechen, denn eine unbarmherzige Sonne machte jede schnelle Bewegung so gut wie unmöglich u. jeder zeigte das Bestreben, sich möglichst dem Grundsatz des Südens allgemein: “Dolce far niente“ anzupassen. Es entwickelte sich eine Art Kurbetrieb, der nur von Arbeitsdiensten unterbrochen wurde. Es gab damals viele Weintrauben hier. Wir lernten rohe Feigen, die Kaktusfrüchte u. Melonen kennen, schüttelten uns die Mandeln von den Bäumen u. fühlten uns bis auf die Nachtwache u. den furchtbaren Durchfall, den fast jeder hatte, sauwohl. Ich hatte mir die Erlaubnis erwirkt, hin u. wieder die südlichen Schönheiten mit Pinsel u. Wasserfarbe festhalten zu dürfen u. so saß ich dann manche Stunde u. malte begeistert die dunklen Zypressen, das blaue Meer, die blaugrünen Agaven u. den unglaublichen klaren Himmel darüber in nie gewagten saftigen Farben. – Dann war es eines Tages plötzlich mit der Ruhe und

dem herrlichen Frieden aus. Wir mußten unseren etwas widerspenstigen „Freund“ hinauswerfen u. ließen uns mehrere Zeit etwas scharfen Dienst um die Ohren wehen, den ersten, allerersten. Aber auch das ging vorüber u. der „Freund“ wurde dermaßen rassiert, daß ihm Hören u. Sehen verging. –

Orden sind natürlich auch verteilt worden. Mich hat man gründlich um das Sturmabzeichen, das z. B. Karl Pasedag mit Stolz trägt (Stab!?) beschi.....en. Nähe Angaben könnte Dir Karl liefern. Ein Treppenwitz mehr in meinem Leben. Aber ich fühle mich auch ohne Orden ganz wohl u. bis auf den dämlichen Dienst, weiß Gott, auf welchem Mist der wieder plötzlich gewachsen ist, bleibt nichts zu wünschen übrig. Zum preußisch-deutschen Gefreiten hat man mich auch avancieren lassen u. zu allem Schreck noch in einen U-Lehrgang gesteckt, den ich leider nicht ablehnen durfte. Dafür um so kräftiger den wieder einmal angetragenen R.O.B.. Ich bin dafür, daß man meine Person mit danebengeratenen Ehrungen u. blödsinnigen Beförderungen in Ruhe läßt u. mir lieber einmal Gelegenheit gibt, den Pinsel zu führen. Sonst aber geht es mir, den Verhältnissen entsprechend, gut. Wenn auch das Leben durchweg etwas eintönig ist, eben, weil man nicht einmal hinauskommt, so bringt doch die Hoffnung, das ich etwa in 4 ½ Jahren im Urlaub an der Reihe bin, wenn keine Sperre dazwischen kommt, u. hin u. wieder eine schwarze Rauchwolke über unserer Bucht, die ehemalig ein Schiff u. unsere Post gewesen sind, etwas Abwechselung in unser Dasein. Was sich noch alles ereignen wird, interessiert wenig. Der Blick wird eng u. nur auf das nächste gerichtet. Ich persönlich aber bin gerade in der letzten Zeit oft zu Hause, warum, habe ich noch nicht feststellen können. – Über Deine neue Verwundung bin ich mehr oder weniger unterrichtet u. zwar von – Heinz Rekers, der mir allerdings schon des öfteren geschrieben hat. Nun möchte ich von Dir so manches erfahren: Du warst doch inzwischen auch in der KLV gewesen, nicht wahr? Ich hätte gerne einen kleinen Bericht, denn meine Eltern schrieben mir von großartigen Taten u. Verdiensten Deinerseits. Über Dein neues Leben darf ich auch etwas hören? Dem Heinz scheinst Du allerdings etwas auf die Nerven zu fallen. Ein Brief, den er mir an einem, unfrei-

willig danebengeratenen Sonntagsurlaub schrieb, enthält ein Klagelied, daß man ihn doch nicht immer noch als „Heinzchen“ betrachten sollte. ‚Man merkte es besonders in Deinen Gesprächen‘. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wenn der „Dicke“ mit einem verbindlichen Lächeln u. im Brustton festgefügter Überzeugung Weisheiten verzapft. Gerade die verbindliche Überlegenheit, die auch mich manchmal aus dem Fasson bringen konnten, die aber immer wieder für mich das Angenehme an Dir bleibt, scheint er als Nichtachtung seiner, zweifellos werdenden Persönlichkeit anzusehen. Er will unbedingt unabhängig werden, gottseidank u. endlich einmal ein vernünftiger Gedanke. Nimm ihn also nicht zu sehr auf den Arm, sonst kannst Du Dir noch einen „erschröcklich furchtbaren Feind“ machen. Allerdings ist ja auch manches aus der Laune des verdorbenen Sonntagsurlaubs zu verstehen, denn die soldatische Sturheit ist ja noch nicht da, die in einer solchen Situation ein unabänderliches Schicksal sehen würde. Das aber wird bei allen noch kommen. – Bisher haben alle, die mir geschrieben haben gefragt, ob ich denn nicht über der südlichen Pracht die bescheidenen Schönheiten unserer Heimat vergessen würde u. das, obwohl ich schon damals in Bocholt immer im Voraus das Gegenteil behauptet hatte, fest angenommen. Obwohl ich den Schönheiten nicht abgeneigt bin, wie Du oben ja feststellen konntest, möchte ich die Ansicht, die bestimmt in einem Deiner, hoffentlichen, Briefe erschienen wäre am besten so beantworten:

Wohl reizt das südliche Meer,
Das Land der dunklen Zypressen
u. seine Farbenglut mich sehr. -
Doch sollt ich darum vergessen
Das Rauschen der Kiefernwälder,
Den roten, trotzigen Sand,
Die wogenden, goldenen Felder,
Die braune Arbeitshand
Die kraftvoll die Sense führt? -
Ich könnt es nimmermehr!

Über die glitzernden Wellen
Ahn‘ von fern ich die Stärke
heimatlicher Quellen,
Die alle meine Werke
hast ohne mich vollbracht. -
Wurzellos fühl‘ ich mich hier!
Wo bleib denn die herrliche Macht,
die Geist u. Hand mir geführt? -
Glaub nur, der ist zu beklagen,
der seinen Boden verliert,
um Träumen nachzujagen.
Sein Blut rächt sich bald schon dafür!

Damit ist wohl alles gesagt. – So, nun bin ich gespannt auf Deinen großen Bericht. – Hast Du irgendetwas von Rudolf gehört. Mir ist seine Anschrift unbekannt u. ich bekomme ja doch keinen Strich zu sehen, wenn ich verschiedene Herren nicht fernmündlich sanft ins Kreuz treten würde. So bestimmt auch bei ihm. Sobald ich aber seine Anschrift weiß, werde ich ihn mit einem Brief belästigen. – Dir aber, altes Haus, wünsche ich verschiedene herzliche Hals- bzw. Beinbrüche. Grüße die verschiedenen, sonst noch herumlaufenden Bekannten, eine Arbeit, die bald getan sein wird, u. denke hin u. wieder an Deinen ollen

Freund Jochen.