Freund Rudolf an Horst Schmitt, 21. Februar 1944

O. U., den 21.2.44

„Mein lieber roter Bruder!“

„Der große Manitou hat dem Häuptling der Apatschen wieder einmal die Sonne seiner Gunst scheinen lassen, indem er dem in der Ferne weilenden Winnetou Botschaft von seinem treuen Freund zukommen ließ. Viele Monde sind vergangen seit wir das in den Dörfern der Mescalero (Bocholt) an den Gestaden des Rio Pecos (Aa) zum letzten Male gesehen. Winnetou sehnt sich nun danach, zu seinen Wigwams, zu seinen Freunden und Brüdern zurückzukehren, wenn auch nur für kurze Zeit. Vielleicht wird ihn schon bald das Feuerroß in jene Gefilde, in seine ‚heimatlichen „Jagd“gründe‘ tragen?!“

Die Einleitung klingt ganz romantisch, nichtwahr mein Dickerchen, frei nach Karl May, „Winnetou II“ (Seite einhundertundperpendeckel[?]), aber die Wirklichkeit ist viel realistischer, weit nüchterner als wir es uns wünschen. Wie schon so oft gesagt, bzw. geschrieben lebe ich immer noch im Revier, seit dem 10. Januar schon. Heutemorgen erreicht mich nun Dein lieber Brief, der wie so mancher von Dir bei meiner Wenigkeit große Freude auslöste. Nun bist Du auch wieder in Bocholt, Du Glücklicher, könnte ich Dich doch bald dort begrüßen! Wenn Du nun aber baldigst, in den ersten Märztagen schon wieder in die KLV fährst, besteht allerdings wenig Aussicht. Ich hatte mich schon so sehr auf meinen alten Horst gefreut. Wir hätten wenigstens für ein paar Tage wieder die alten sein können, aber da ich (wenns klappt) erst um den 10. März herum (meiner Rechnung nach, ich will nichts bestimmtes versprechen) dort angelangen werde, werde ich wohl wieder allein sein, aber das bin ich ja nun schon gewohnt. Wie immer bot mir Dein Brief recht interessantes. Er liegt gerade vor mir. Besonders hat mich die Erwähnung von der Abiturfeier der 8. Klasse der heimatlichen Oberschule, begangen von Abiturientia 1944 (masc. und fem. generis) gefesselt; nur zu gerne würde ich näheres

darüber erfahren. Bekommt Ihr, Du und unser „Dr.“ das Abitur? Was war von den „holden Wesen“ des „zarten“ Geschlechtes Gutes, Schönes, Liebliches, Hübsches, Süßes, Liebes usw. dabei? Laß „Namen“ sprechen! War Heinz mit Erna zusammen? Wer war Dein „Interessengebiet“? Wer war von unserer Klasse dabei? Nun etwas anderes mein Bester, ich meine Du mußt es nun doch als mein etwas „breitgeratener Schatten“, als mein Refugium peccatorum erfahren: (Vorausgesetzt, daß Du im Beisein anderer recht wenig an das Dir nun Anvertraute denkst, d. h. wie ein geschlossenes Grab schweigst) Vati (c’est moi) ist wieder „Junggeselle“ und zwar seit Oktober 1943 aber das ist ja nicht so tragisch, nicht wahr, die Hauptsache bleibt, man wird kein Weiberfeind (bei mir übrigends ausgeschlossen) und erinnert sich ab und zu jener angenehmen Tatsache, daß es auch noch ein zweites, schöneres (<angeblich) Geschlecht gibt. So habe ich immer eine kleine Schwäche für .... na, wie heißt doch die bekannte Opfer von Fr. von Flotow noch? Heinz Rekers kennt diese Oper auch bzw. hat sie gekannt, so viel mir non ignorans bzw. non ignotus ist! Dickerchen; Horst’l, alter Junge, ich habe nun eine große Bitte an Dich (aber einem diese mir zu Liebe ernst, sehr ernst): Mache ein „kleines Spähtruppunternehmen“ für mich und stelle Geländebeschaffenheit, Lage und Stärke des Gegners fest (d. h. ob Hoffnung zu einem Angriff meinerseits vorhanden ist, was die evtl. störenden Faktoren, einzukalkulierende Schwierigkeiten und voraussichtliche Überraschungen sind usw. usw.) Wichtig für mich ist zu wissen, ob Herr Rekers die „diplomatischen Beziehungen“ zum ehemaligen Partner wiederaufgenommen hat oder nicht. Also mit Gott und in meinem Namen, klappt’s, so ist Dir mein Dank gewiß! Für Dein Bild meinen herzlichen Dank. Hoffentlich sehe ich Dich bald in Natura! Was sagst Du übrigends

zu der personellen Veränderungen an unseren alten Penne? Mich hat die Nachricht geradezu begeistert. Nun herrscht endlich ein strenges Regiment, nun besteht wenigstens ein geringer Funke Hoffnung, daß aus dem bekannten „Saustall“ (wenn ich mich

einmal so ausdrücken darf) eine nationalsozialistische Musteranstalt wird. Der alte, brave, wenn auch etwas schwarzbärtige Jans war doch nicht mehr Herr der Lage. Jetzt soll jedem der Kurs vorgezeichnet sein, andernfalls er sich „fliegerisch betätigt“. Es ist nur zu begrüßen.

Mein Vater erzählte mir neulich in Schriftform von Deinen geradezu köstlichen, höchst anschaulichen Schilderungen betreffs Eurer Schulausbildung bei der Flak und unseres lieben „Wickelgamaschenträgers“ Männebald, mit dem mich auch so viele, Lachmuskel reizende Erinnerungen verknüpfen. Horst ich habe, gelinde ausgedrückt, vor Lachen gebrüllt. Weißt Du, ich habe keine schlechte Vorstellungsgabe, Phantasie .... Kommentar überflüssig. Ich darf nicht daran denken, sonst kann ich vor Lachen nicht schreiben. .... „Die Meldung, Remus‘ Fischgesicht, der Mund, die Haltung .....“ Wer könnte da ernst bleiben? .. Hahaha, das Tollste, die .. Hahaha ... die ... hahahaha (tr...) .. die Wickelgamaschen, die „Reithose“ und die Spatzen[?].... hahaha. Da lacht selbst die Koralle! – Grüß doch den Zwerg bei Gelegenheit recht herzlich von mir! Oder ist er noch nicht wieder in Bocholt?

Nun zu einem anderen, sehr wichtigen Kapitel, zu unserem „eisernen Heinrich“. Wie ich vermute, sind die Eisenringe, die sein Herz umgaben längst mit „lautem Knall“ abgesprungen. Nur der Bursche möchte jetzt den Harmlosen markieren und schreibt mir großartige Romane von wegen nur Arbeitsgemeinschaft, Kameradschaft, harmlose Freundschaft etc. Dieser Heinrich, sieh doch ‘mal an! Vielleicht glaubt er ... na ich weiß ja sehr gut Bescheid, Erfahrung, leider eigene Erfahrung! Dieser Amateur des Amor! Frage ihn doch bitte einmal, ob ihn die scharfe Spitze jenes bekannten Pfeiles wirklich getroffen, oder nur die am Pfeilschaft befestigte Leitfeder gestreift hat. Sonst ist er aber in Ordnung, der liebe alte Heinz. Ich muß ihm unbedingt zur Abwechslung wieder schreiben. Grüße ihn doch recht herzlich von mir.

Von Jochen, meinem ehemaligen Castor,

habe ich, Pollux, nichts mehr gehört; seit wir uns in Hanau im Juni des letzten Jahres zum letzten Male gesprochen. Ich habe so um den 18.1. d. J. einen Brief an ihn abgesandt, in der stillen Hoffnung, eine Antwort zu erhalten, aber scheinbar pfeift er darauf und auf die „Dioskuren“. Ja ja, alle Märchen, besonders die schönsten, fangen mit den bekannten Worten an: „Es war einmal ....“ Genug davon!

Hast Du Dir übrigends schon die Produkte meines malerischen und zeichnerischen Wollens bei uns zu Hause angesehen? Wie findest Du sie? Nebenbei bemerkt habe ich auch schon schüchterne poetische Versuche gemacht! Auf unserer Bude haben wir auch ein Radio, das auf meinem Nachtisch steht und von mir eifersüchtig und mit Argusaugen (wie ein hübsches Mädchen) bewacht wird. Nur klassische Sachen wenn’s nach mir ginge, aber es sind auch noch zwei andere „Sportsfreunde“ da und die wollen „Stenzmusik“ mit Tscht, Tscht, Tscht, und „Papeditedatedoooo“ usw. hören, weißt Du such a right an dull niggerjazz, yankeedoodle und ähnliches. Na ja, die „Geschmäcker“ sind verschieden (oftmals „leider“, oft aber auch „Gott sei Dank!“) und von mir aus soll jeder nach seiner Facon selig werden. Ich selbst bleibe der echten Musik treu, dem „Göttlichen Funken“ wie ich in einem Gedicht „An die Musik“ mich auszudrücken wagte. Damit ist mein Nachmittagsprogramm für heute beendet. Ich setze die Sendereihe in Kürze fort! .... „Auf Wiederhören, wenn wir beim nächsten Male wiederkehren! Auf Wiedersehen sagt das Vaterland und
„Lot dij wat gutt gohn!“

Mit den besten Grüßen an Dich und Deine lb. Eltern bin und bleibe ich in treuer Freundschaft

Dein Rudolf.

Verzeih‘ bitte Fehler, Schrift und Stil, ich habe wenig Zeit! Howghk! I’ve spoken!

gez.: „Winnetou II.“