Horst Schmitt an seine Eltern, 16. Juni 1942
Nagold, 16.VI.42.
Liebe Eltern!
Jetzt seid Ihr ja alle wieder beisammen, und ich brauche nicht immer alles an zwei Adressen zu schreiben. Ihr waret sicher sehr erstaunt, als Ihr Bocholt in so schöner Aufmachung forfandet. Aber Ihr braucht garnicht zu denken, dass ich mir der Engländer wegen Kopfschmerzen mache. Da habe ich gar keine Zeit zu. Besonders augenblicklich nicht. Denn unserem Lagerleiter ist seine Schwiegermutter gestorben. Er ist deshalb nach Hause gefahren, und ich bin alleine hier. Aber etwas Gutes hat das auch gehabt. Ich habe mich nämlich am zweiten Tag meines Alleinseins mit der Alten wieder vertragen. Es war soweit, dass die Köchin samt Küchenpersonal nicht mehr kochen wollte und die Heimleiterin Beschwerde nach Stuttgart einreichen wollte. Zwei Stunden Schwatz und behoben war die Sache. Oh, diese Junggesellinen. Sieger bin ich geblieben, denn seit dem Tage benimmt sich die Alte immer sehr freund-
lich und fällt nicht in ihre alten Fehler zurück. Das ist doch ein Erfolg, den Ihr erst würdigen könnt, wenn ich Euch mal alles erzählt habe. Dann kann ich Euch auch schon allerlei Erfolge melden. Z. B. haben wir heute die Jungen zum 2. Male gewogen, - das 1. Mal kurz nach ihrer Ankunft. Und da habe ich festgestellt, dass der Durchschnitt über 3 kg zugenommen hat, trotz der vielen Bewegung, die die Jungen durch Sport, Exerzieren und Ausmärsche haben. Die grösste Gewichtszunahme war 6 kg und die kleinste 1 kg. Aber noch etwas anderes habe ich praktisch zum ersten Male festgestellt, nämlich dass man die Jungen nur erziehen kann durch fortwährenden Drill. Alles muss ihnen zur Gewohnheit werden.
Aber nun etwas anderes. Morgen schicke ich ein Paket ab mit Schuhcreme! Ja, lauter Schuhreme und zwar 4 grosse Dosen schwarz, ferner 10 oder 12 Dosen braun und noch etliche kleine Dosen schwarz. Das Paket ist gut verschnürt, sodass nichts herausfallen kann. Das wird Euch doch sicher Freude machen, nicht wahr? Ihr müsst das aber nicht weitererzählen; denn das habe
ich nicht gern. Ob die Zahlenangaben genau stimmen, kann ich nicht sagen. Ich habe nämlich erst ans Aufschreiben gedacht, als das Paket schon verschnürt war.
Nun habe ich aber noch eine Bitte. Schickt mir bitte den Pullover mit Ärmeln. Den kann ich hier ganz gut gebrauchen. Als Beigabe darf natürlich auch etwas Bonbons drinliegen. Die ersteren haben nämlich gut geschmeckt, genauso wie die Plätzchen.
Nun lese ich zu meine grössten Freude, dass Helmut sich ja in der Schule macht. Deutsch und Rechnen als Bester. Das ist ja ein guter Anfang.
Hier in Nagold ist sonst noch alles beim Alten. Ich mache mit den Kleinen schon Märsche von 30 km. Das gibt immer viel Spass. Und Baden sind wir auch schon öfters gewesen. Ich selbst bin schon braun wie ein Neger am ganzen Körper. Doch nun will ich schliessen. Es grüßt Euch alle recht herzlich.
Eurer Horst.