Vater Schmitt an Sohn Horst, 11. Juli 1942
Bocholt, den 11. Juli 1942.
Lieber Horst!
Nun, wo wir so viele Post auf einmal von Dir erhalten, ist es an der Zeit, Dir auch wieder einmal zu schreiben, damit Du nicht meinst, wir hätten Dich ganz vergessen.
Also zunächst herzlichen Dank für Deinen Brief vom 3. ds. Mts., in dem Du Schloss Grafeneck und seine Umgebung so anschaulich geschildert hast. Dann danken wir für Deine beiden Postkarten vom 9. ds. Mts., aus denen wir ersehen, daß es Dir immer noch gut geht, und das ist die Hauptsache.
Nun wird allmählich die Frage brenzelich, wann Du dort Schluß machst und nach Hause zurückkehrst. Ich möchte das nämlich wissen, um meinen Urlaub darnach einzurichten. Ich hatte nämlich vor, am 3. August meinen dreiwöchigen Urlaub anzutreten. Wenn Du also, wie Du seinerzeit meintest, Ende Juli dort aufhörtest, könntest Du auf der Heimreise in Bonn bei Krings aussteigen und dort warten, bis ich komme, damit wir noch einige Tage in Bonn zusammen herumstrolchen könnten. Helmut würde dann auch seinen restlichen Urlaub (7 Tage) nehmen, und wir drei würden dann zusammen Bonn unsicher machen. Falls Du aber noch einen Monat länger bleiben solltest, was wir jedoch nicht hoffen, würde ich meinen Urlaub so legen, dass Du die letzten Tage mit mir bzw. Helmut in Bonn zusammen wärest, was an sich ebenso schön wäre. Wir würden dann gemeinsam nach Hause fahren – natürlich schwer bepackt mit allerlei Sachen, die uns in Bocholt fehlen.
Also, wie gesagt, am liebsten ist es uns, wenn Du Ende ds. Mts. schon nach Hause kämest; denn wir alle sehnen uns nach unserm Ältesten; er ist lange genug weg und hat für die KLV. und damit für die HJ genug getan, mag der „hohe Herr“ in Stuttgart das nun anerkennen oder nicht. Ich habe übrigens vor, wenn Du wieder zurückgekehrt bist, dem Gebiet in Münster bzw. in Stuttgart und auch der alten Dame in Nagold ein paar passende Worte zu schreiben, die sich vor allem die letztere ins Stammbuch schreiben kann. Ich sehe nämlich nicht ein, daß man mit den Jungen, die sich für die KLV. zur Verfügung stellen, machen kann, was man will, und sie versetzen kann, wohin man will.
Ich würde Dir also, lieber Horst, empfehlen, einmal die Fühler auszustrecken, um zu erfahren, wann Du dort aufhörst. Gegebenenfalls werde ich von hier aus die nötigen Schritte tun, damit Du Ende Juli nach Hause zurückkehrst; denn schließlich habe ich ja auch noch etwas über Dich zu sagen, vor allem, wenn man meinen Jungen, wie ich vermute, nicht so behandelt hat, wie es sich geziemt. Sobald Du also mitteilen kannst, wann Du die Heimreise antreten kannst, mußt Du es tun, damit wir uns hier entsprechend einrichten können.
Was es sonst noch Neues hier gibt? Heute morgen war Heinz Belting hier und brachte Dein Zeugnis, auf dem nur vermerkt steht, daß Du im 3. Jahresdrittel 1941/42 aus anderen Gründen 281 Tage „unentschuldigt“ gefehlt hast und wegen Einsetzens als Helfer in der KLV auf Grund des Osterzeugnisses nach Anhörung der Konferenz vom 3.7. ds. Js. nach Klasse 7 b versetzt bist. Ob Ruland die Stunden richtig gezählt hat, weiß ich nicht. Wir wollen es allerdings annehmen, da wir es ja hier mit einem anerkannten Mathematiker zu tun haben. Warum und inwiefern aber das Fehlen „unentschuldigt“ erfolgt ist, ist mir zweifelhaft. Soweit mir bekannt ist, habe ich der Schule den Grund Deines Fehlens mitgeteilt, und auch die Bemerkung auf dem Zeugnis von dem Einsatz als Helfer in der KLV dürfte eigentlich
klar und deutlich besagen, warum Du gefehlt hast. Vermutlich ist das Denken derjenigen Herren, die „mathematisch denken“ können, anders organisiert als das der übrigen Sterblichen. Doch wir wollen uns über den Schnitzer auf dem Zeugnis nicht aufregen. Die Hauptsache ist, daß Du in der Klasse 7 gelandet bist, und daß Du dort demnächst Deinen Mann stehen wirst, daran zweifle ich nicht. Nutze jedenfalls die Tage, die noch kommen, gut aus und schau gelegentlich mal in Deine Bücher; denn denke immer daran: das, was Du jetzt tust, brauchst Du nachher nicht zu tun. Auch werden wir schon noch die Frage lösen, wie wir Dir Mathematik und Chemie beibringen.
Interessieren wird es Dich gewiß, daß die alte Frau Schüler am Sonntag, dem 5. Juli, gestorben und am vergangenen Donnerstag beerdigt worden ist. Sie war in der Nacht zum 2. Juli, als sie beim Fliegeralarm aufstehen wollte, ausgerutscht und hatte sich einen Oberschenkelbruch zugezogen, an dessen Folgen sie dann gestorben ist. Wenn der Fall auch für die beiden Damen Schüler schmerzlich ist, so war es doch für die alten Frau am besten, daß sie Abschied nahm von diesem Jammertal; denn bei ihrem hohen Alter und der Zuckerkrankheit, die sie hatte, wäre sie ja doch nicht mehr gesund geworden.
Heute regnet es den ganzen Tag nur einmal, und das war insofern gut, als ich da Zeit hatte, Dir diesen langen Brief zu schreiben. Heute abend gehen wir alle drei zu einem Vortrag im Verein für Heimatpflege, wo über Nöte und Drangsale der Bocholter im Spanisch-Niederländischen Kriege (1583-1605) gesprochen wird.
Das wäre so ziemlich alles, was ich an Neuigkeiten weiß. So sei denn für heute recht herzlich gegrüßt von uns allen, besonders von Deinem
Vater.
Lieber Horst!
Herzlichen Dank für Deine Karte. Auch ich freue mich, daß Du bald wiederkommst. Denn ich weiß manchmal nicht, was ich vor Langeweile anfangen soll, zumal wenn es den ganzen Tag regnet wie heute. Mit dem Schwimmen hapert es noch. Wenn Du wieder zu Hause bist, kannst Du es mir ja beibringen. Über meine Ferien hat Dir Vater ja schon alles mitgeteilt. Mein Beruf macht mir immer noch Spaß, wenn auch Herr Seifferth ein strammer Lehrmeister ist. Doch das ist kein Fehler. Den ersten Pelz für Mutter habe ich schon in Arbeit. (??) Schreibe auch dem Hans Seggewiß und dem Reinhard Tiebing mal eine Karte.
Viele Grüße von Deinem Bruder Helmut.
Lieber Horst!
Nun wäre ja Mutter eigentlich dran, sich an die Schreibmaschine zu setzen, aber da ihr das noch etwas Kummer macht, tue ich es für sie. Ich soll Dir nur noch mitteilen, daß Du nur ja Ende ds. Mts. heimkehrst. Im übrigen hat Heinz Deine Bücher nachgesehen und das Erdkundebuch entdeckt. Mutter ist übrigens am einmachen, damit sie im Winter die hungrigen Mäuler stoppen kann. Auch eine lobenswerte Angelegenheit! Also nochmals herzlichen Gruß
D. Vater.
Lieber Horst, ich muß den beiden auf Samstag-Abend noch Pfannkuchen backen. Hoffentlich bekommst Du auch mal Kuchen.
Viele Grüße Mutter.