Freund Jochen an Horst Schmitt, 9. März 1943
O.N. d. 9.III.43
Lieber Dicker!
4 Wochen! In Worten: vier Wochen, Herrgott, wie ein alter Landser kommt man sich vor. Es hat eigentlich ja auch lang genug gedauert, bis sie herum waren, denn manchmal wurde die Zeit doch lange, hin u. wieder sehr lang. Es fehlte eben ein gewisser Sicherheitsventil, nämlich die Kunst. Für sowas ist natürlich vorläufig garkeine Zeit u. es speichern sich Dinge auf, die einmal hinauswollen. Da soll zum Beispiel ein Kantinenraum hier eingerichtet werden, was ich da tun werde, kannst Du Dir sicherlich denken. Eine Arbeitsprobe werde ich voraussichtlich den Herren (oder auch Arschlöchern, ganz individuell) geben, indem ich am kommenden Sonntag meinen gestrengen Herrn Unteroffizier vor die Spitze meines Bleistiftes bekommen werde. Gefragt habe ich ihn schon u. ebenfalls seine Zustimmung erhalten. – Über die genaueren Verhältnisse hier wirst Du sicherlich durch Eltern Looks u. Kraatz u. diese durch ihre mehr oder weniger schreibseligen Söhne erfahren haben. Das es hier nicht der so ersehnte schöne Süden ist, wirst Du gehört haben. Das einzig anständige ist der Wein, der für uns in genügenden Mengen auch in der Kaserne zu haben ist. Er ist in manchen Stunden, besonders Sonntags eine angenehme Abwechslung. Wenn möglich, dann versenkt sich mein innerer Mensch in der Kunst mittels einer kleinen, von zu Hause mitgenommenen Kunstgeschichte, die hin u. wieder traumhaft zart die Gefühle erweckt, die einst den ganzen Menschen (außer dem Schüler, der sowieso nie einen großen Platz im Menschen eingenommen hat) beherrschen. Dann versinkt diese Welt, die vorläufig sklavenhaft noch drückt wie ein schlechter Anzug, es verstummt für mich das Jazzgeflöte der Mit[?], unter denen hin u. wieder ein Mensch ist u. die einige Zoten u. dann erhebt man sich etwas aus dem Sumpf, es leider nachher um so stinkender erscheint. – Die etwas geringere Leistungsfähigkeit als die anderen Kameraden läßt uns beiden, auch den Rudolf als weniger gute Soldaten erscheinen. Wir
haben bisher bestimmt nach Möglichkeit den Dienst ausgefüllt, bis es mich einmal wieder packte. Und nun sitze ich hier u. habe für 10 Tage keinen Geländedienst, da ich nicht denke, daß ich mich hier kaputt machen lassen. Augenblicklich habe ich nun zum 2. Mal Telefondienst auf dem Batl., ein leidlich ruhiger Posten, an dem man endlich einmal zum Briefschreiben kommt, was sonst nicht der Fall ist, denn oft ist selbst der Sonntag nicht das Eigentum der Soldaten u. auch in gewisse Abschnitte eingeteilt, an deren Spitze natürlich die Erledigung eines Briefes nach Hause steht. Der vorige Sonntag brachte unseren ersten selbstständigen Ausgang in die wenig reizvolle Stadt. Interessant sind eigentlich nur die Menschentypen, die aber im Allgemeinen herzlich wenig erfreulich sind. Die Weiber bis zum Erbrechen geschminkt, die „Männer“ durchweg bis zum gewissen Alter mit unserem berühmten Wort „Schlackerp...“ zu bezeichnen. Wenig freundschaftliche Blicke u. von der vielgepriesenen Kultur u. Lebensführung ist herzlich wenig zu merken. Zu kaufen gäbe es hin u. wieder sicher manches, aber das ist leider am Sonntag unmöglich u. daher hat der Ausgang eigentlich jeden Zweck verloren. wenn ich nicht einmal in die Umgebung komme u. davon etwas festhalten kann, was allerdings mehr Zeit in Anspruch nimmt. – Von Eurem Leben im gesegneten Bocholt u. auf der Penne habt Ihr, d. h. Säckchen u. Lothar, ebenfalls Heinz neben Deiner Wenigkeit uns ziemlich genau Auskunft gegeben. Es scheint sich außer den zusätzlichen Stunden nicht viel geändert zu haben. Der samstagabendliche Kegelklub ist herrlich u. für Gemüter, die darin ihre Erholung finden auch nicht zu verachten. Den gesammelten Brief von einem solchen Abend haben wir ebenfalls erhalten u. danken hiermit allen daran Beteiligten. – Wo sind die anderen geblieben, die damals eingezogen wurden? Es befinden sich hier, wir Beide, Karlchen u. Bernhardt Nehling. Von der Parallelklasse Bers u. Tepasse. Wo die anderen gelandet sind, würden wir gerne erfahren. Auf Grund einer neuen Kompanieeinteilung hat man Rudolf u. mich in verschiedene Gruppen gesteckt. Das ist, wie Du Dir denken kannst uns garnicht recht. Macht doch jetzt der Dienst lange nicht mehr die Freude, als wenn man den wirklichen Kameraden, den man genau kennt neben
sich spürt. Alle Reklamationen scheinen fehlzuschlagen u. was bleibt da anderes übrig, als wie gewöhnlich einmal wieder das Maul zu halten nach bewährtem Muster u. uns zu trösten, daß wir nicht allzuweit auseinanderliegen u. noch in einer Kompanie sind. Sonst ist man aber noch gesund, wenn auch etwas dünner als vorher, was Du ja nicht gerade weiter zu verbreiten brauchst. Besonders nicht in Friedenstr. 14. Du scheinst Dich dort öfter sehen zu lassen. Ich kann es Dir an Hand der Briefe von zu Hause beweisen, wie man sich über diese [?] freut u. ich tue es nicht minder. – Sonst steht doch hoffentlich in Bocholt noch alles wie vorher. Läßt man Euch in Ruhe von oben? Was macht die HJ? Wenn uns die Klasse weiterhin so mit Nachrichten versorgt, dann ist das schon in Ordnung. Wenn wir auch nicht immer Euch allen so schreiben können, wie ich das jetzt tue, so ist das wohl verständlich aus bekannten Gründen, denn abends sind wir froh, wenn uns das Bett hat und sonst ist keine Zeit. Dann nimmt uns Koppel, Stiefel u. Anzug in Anspruch u. zwischendurch auch das Essen. Wir aber freuen uns immer, wenn jemand sich geistig erhebt u. einige Minuten an uns Landser denkt. Ruland müssen wir unbedingt schreiben. Panstrup hat wirklich mit einer netten Karte auf unseren gemeinsamen Skrib reagiert, was uns dementsprechend erfreute. – Also laßt es Euch weiterhin gut gehen. Besonders aber grüßt Dich u. Deine Eltern
Dein Jochen!
Rudolf wird, wenn er nicht schon hat, ebenfalls schreiben.