Horst Schmitt an seine Eltern, 27. Januar 1944
O. U., den 27.1.44
Liebe Eltern!
Zunächst recht vielen Dank für die lieben Grüße, die Ihr mir zu meinem 19. Geburtstag habt zukommen lassen. Als etwas ganz besonderes schreibe ich jetzt einen Brief in Rot. Wir haben nämlich ein neues Farbband mit schwarzer und roter Farbe bekommen. Das muß ich natürlich schnell einmal ausprobieren. - - Nun bin ich mittlerweile schon wieder eine Woche hier, und mit meiner Entlassung ist es noch nicht viel weiter wie vorher. Zwar hat das Schreiben, welches ich vom Bann mitgebracht habe, seine volle Gültigkeit gehabt, aber die Sache muß leider der Untergruppe vorgelegt werden. Bekanntlich aber mahlen Gottes Mühlen langsam und die des Bürokratismus noch langsamer. So sitze ich hier und habe bisher nur einen einzigen Vorteil gehabt: ich bin nämlich in Lortzings „Wilddieb“ gewesen. Es war ein seltener Genuß. Ein volles Orchester spielte die schönen Weisen, ein Orchester, wie es nur in Bocholts Glanzzeiten vorhanden war. Einige schöne Stimmen war auch da. Nur die Bühnendekoration war ziemlich mangelhaft. Ich glaube, das „Stadttheater Bocholt“ würde es nie wagen, eine derartige Dekoration zu zeigen. Nun ist dies in Münster noch zu entschuldigen, denn fast sämtlichen Bühnenbilder der ehemaligen städtischen Bühnen sind bei den Angriffen vernichtet worden. Alles in allem war es aber ein schöner Nachmittag, der so recht zum Geburtstag passte.
Inzwischen sind allerhand Neuigkeiten über die Einziehung der „26 er“ herausgekommen. Zunächst steht fest, daß die Schüler am 15. Februar zum RAD eingezogen werden. Weiter habe ich erfahren, daß das Gerede von der Einziehung der ROA zum RAD bisher noch auf unbegründetes Gerede fußt. Hoffentlich bleibt es so. Ich habe immer noch keine Aufforderung zur Vorstellung beim WBK in Recklinghausen bekommen. Hoffentlich warten die Herren noch eine bißchen, bis ich hier wieder das Feld geräumt habe. Der Termin meiner Entlassung hängt augenblicklich von der „Oberschule für Jungen in Bocholt“ ab. Von der Untergruppe wurde nämlich in Bocholt nachgefragt, ob der Prozentsatz an Entlassenen an der Oberschule noch nicht überschritten ist. Das kann aber nicht der Fall sein, da ich der erste Entlassene unserer Klasse bin und außer H. Wilk noch keiner für HJ-Zwecke reklamiert worden ist. Ich habe auf jeden Fall mal wieder festgestellt, daß man doch sich nicht zu früh freuen soll, solange man noch in den Händen des Kommiß ist. Das geht bestimmt immer schief. Daß mein Idealismus natürlich nicht gewachsen ist, könnt Ihr Euch denken. Besonders wenn man noch überlegt, daß man garnicht in diesem Verein hätte sein brauchen bzw. seit dem 6. Okt. v. J. hätte entlassen sein können. Aber was nicht ist, kann bekanntlich noch werden.
Wie Heinz seine „Dulzinäa“ schrieb, hab en die Mädel das Abitur bald hinter sich. Sie werden sofort darauf die „25 er“ als Nachrichtenhelferin, die 26 er als RAD-Mädel eingezogen. Dies paßt aber den jungen Damen, wie man sich denken kann, nicht, und auch nicht den jungen Herrn.
In trautem Kreise wird jetzt des öfteren von unseren Berufswünschen und –aussichten gesprochen. Aller Wunsch ist, sich sofort nach Erhalt des Abiturzeuchnisses imatrikulieren zu lassen. Soll ich das auch tun? Darüber können wir aber sicher noch in Ruhe reden.
Morgens gehe ich jetzt noch fleißig zur Schule. Ohne irgendein Buch macht die Sache nochmal so viel Spaß. Aber die Herren Lehrer betrachten mich ja auch schon dreiviertel als pensioniert. Auf der Schreibstube werde ich noch ordentlich eingespannt. Zwar betont der Spieß immer wieder, ich wäre überflüssig, aber in die Stadt komme ich nicht, immer ist viel Arbeit, die auf mich wartet. Na ja, den Kommiß kenne ich nun schon ziemlich genau, besonders was die unangenehmen Seiten angeht. Aber schaden tut es ja nicht.
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Wenn der Tag lang ist, redet man bekanntlich viel, und besonders ist das der Fall, wenn die Feuerbereitschaft garnicht aufhören will, so wie heute. Übrigens habe ich heute mit Heinz zusammen Urlaubsscheine geschrieben. Es hat ihm ziemlich Spaß gemacht, aber er hat festgestellt, daß er doch nicht auf der Schreibstube hätte sein mögen; denn dieses lange Sitzen gehe ihm doch ab.
Gerade ist die Feuerbereitschaft wieder einmal aufgehoben, aber da die feindlichen Flugzeuge noch mitten in Deutschland sind, wird wohl bald wieder Feuerbereitschaft kommen.
So, nun habe ich ja wohl bald genug schwadroniert. Hoffentlich erscheine ich bald als Entlassener in Bocholt und brauche mich eine zeitlang nicht mehr um Lametta und Sterne zu kümmern. In dieser Hoffnung grüßt Euch recht herzlich Euer Ältester
N.B.: Wo steckt Helmut? Er hat mir bisher noch nicht geschrieben. Es ist ja auch jetzt nicht mehr möglich.