Horst Schmitt an seinen Freund Jochen, 14. Februar 1944

Gefr.
Jochen Kraatz
zurück an Absender!

Empfänger gefallen für Großdeutschland!

Lw. H. Schmitt
Bocholt/Westf.
Nordallee 4

O. U. 14.2.44.

Lieber Jochen!

Zunächst einmal meinen ersten Gruss als Abiturient! Als zur „höheren Bildungsschicht“ gehörend, müßte ja jetzt eigentlich eine Litanei von lateinischen, französischen, griechischen und englischen Sätzen folgen. Ich will aber großzügigerweise (?) davon absehen und Dir lieber auf deutsch erzählen, wie wir das Abitur erhalten haben. – In dem halben Jahre, wo wir hier sind, haben wir insgesamt 5-6 Wochen Schule gehabt. In der anderen Zeit fiel diese aus, da wir in der Ausbildung bzw. in Quarantäne lagen. Wir haben also im letzten Quartal nicht mehr viel uns geistig betätigt. So konnte man also nicht mehr eine große Prüfung von uns verlangen. Deshalb setzten sich die Luftwaffenhelfer der Klasse 8 mit ihren Lehrern zusammen und beratschlagten über die Noten in ihrem Abiturzeugnis. Tolle Zustände, was?

Der Erfolg war natürlich entsprechend. Alle bekamen Zeugnisse, mit denen sie zufrieden sein können. Dieses Ereignis wurde nun selbstverständlich in gebührender Weise, wenn auch kriegsmässig, gefeiert. Nachdem die ganzen 1926-er den RAD-Einberufungsbefehl erhalten hatten, war ich der einzige, der noch in der Stellung blieb. Natürlich durfte ich bei der Feier nicht fehlen. Also besorgte ich mir einen 2-tägigen Sonderurlaub und fuhr vergangenen Samstag, 12.2.44, morgens um 7 Uhr nach Bocholt. Mittags um 17.00 Uhr traf sich nun die ganze Gesellschaft, bestehend aus den Schülern und Schülerinnen der Oberschulen zu Bocholt und teilweise aus Borken, vor dem Bahnhof in Bocholt. Es waren insgesamt 40 Pers. Eine nette Gesellschaft, deren oberster Grundsatz war, etwas erleben und anstellen. Schon im Zug ging es hoch her. Als es durch Rhede ging, blieb alles stehen und schaute uns nach, als wenn wir

zu den 7 Weltwundern gehörten. Direkt gegenüber der Kirche ging es in ein Lokal, dessen Türen und Laden sofort geschlossen wurden, damit des unerlaubten Tuens keiner gewahr wurde. Zunächst gab es dann Kuchen und sonstige Sächelchen, deren Natur es ist, den lang entwöhnten Gaumen an längst vergessenen Zeiten zu erinnern. Währendem fuhr unserer Tanzkapelle vor. Sie bestand aus 2 Akkordeonspielern, 1 Klavierspieler etlichen Geigen- und Saxophonspielern und dem nicht zu vergessenen Schlagzeug, welches ja bei der neuen Musik die Hauptrolle übernimmt. Vorteilhaft war, daß die Kapelle gut eingespielt und die Spieler wirklich musikalisch waren. Schon mit den ersten Fox und Walzer war ein tadellose Stimmung da. So ging es nun in einem durch. Die enthaltene Tanzlust der letzten Jahre wurde gekühlt; und Liebe und Erlebnis standen an erster Stelle. So vergingen die schönen Stunden leider viel zu schnell und gar bald war es 2 Uhr. So brachen wir langsam auf und

in lustigem Marsch ging es Arm in Arm in breiter Front und natürlich bunter Reihe nach Bocholt, wo man auf den „nächsten“ Umwegen die heimatlichen Gefilden aufsuchte. Besonders interessiert Dich sicher, daß zwischen Heinz und Erna Ueftnig, die sogenannte Nachbarin, ein sehr gutes Verhältnis bestand. Ebenso bei Werner Drees und Gerty Spikermann. Ich persönlich habe mich nicht so um ein Mädel gekümmert, da nach meinem Geschmack keine richtige außer den beiden Genannten dabei war. Es wird sich aber noch was finden, auch wenn man sehr hohe Ansprüche stellt. Den Erfolg teile ich Dir selbstverständlich mit. – Wenn man so lange gefeiert hat, ist es klar, daß der folgende Tag meist kein Freudentag ist. So auch gestern. Ich war sehr, sehr müde, besonders, da ich in der letzten Woche in keiner Nacht mehr als 5-6 Stunden geschlafen habe. Am Montag morgen, also heute, mußte ich wieder um 6 Uhr nach Münster fahren. Ich warte nun jetzt darauf, daß es Dienstag wird

und ich entlassen werde. Vor einer Woche ist nämlich ein Spruch von der Untergruppe gekommen, nach dem ich am Dienstag, dem 15.2.44 aus dem Luftwaffenhelferdienst entlassen werden soll. Leider kann ich mich nun nicht mehr von den RAD-Anwärtern verabschieden. Schade! Ich bleibe jetzt 2-3 Wochen in Bocholt und gehe dann noch mal zur KLV (3. Mal). Wohin, daß ist noch nicht geklärt. Einen evtl. Antwortbrief schicke bitte an meine Heimatadresse. Dann will ich noch versuchen zur Reitschule nach Halle zu kommen. Hoffentlich klappt dies. Es ist nämlich für meine „militärische Laufbahn“ äußerst wichtig, ob ich das Reitabzeichen besitze oder nicht. Den Reiterschein habe ich ja schon im November vorigen Jahres erhalten. Am 1.7.44 wird dann unsere Einberufung zum Kommiß erfolgen. Aber bis dahin fließt ja noch viel Wasser durch den Rhein.

So, das wären von meiner Person die Neuigkeiten. Wie geht es nun Dir. Wie ich von Deiner

Mutter hörte, bist Du ja nun schon ein „kleiner General“ geworden. Ich war am vergangenen Donnerstag in Recklinghausen um mich als ROB einem Oberstleutnant vorzustellen.

Mein Bruder ist noch immer in Kroatien. Er gehört jetzt zu einem Gebirgsjägerregiment. Wie er dahingekommen ist, ist mir unklar. Helmut schreibt sehr vergnügt. Ihm scheint die Angelegenheit zu gefallen. Hoffentlich bleibt er noch eine Zeitlang dort; er ist ja noch ziemlich jung. Zu Hause ist noch alles beim Alten. Meine Eltern haben sich schon langsam an das Alleinsein gewöhnt.

Nun Schluß. Ich hoffe, daß Du den Brief nicht erst wieder nächstes Jahr erhältst, sondern recht bald. Es grüßt Dich herzlichst

Dein Dicker.

Viele Grüße an Karl.