Horst Schmitt an seine Eltern, 31. März 1944
Tegernsee, 31.3.44.
Meine lieben Eltern!
War das eine Freude, als ich Vaters lb. Brief mit der Mitteilung, daß Helmut geschrieben hatte, in den Händen hielt! Ich will hoffen, daß es ihm so gut geht wie mir! Er wird nicht lange auf einen Brief von mir warten brauchen.
Was macht nun mein lieber Rudolf? Seine schöne Zeit in Bocholt wird ja wohl nun herum sein. Ich weiß nicht, wie lange sein Urlaub genau dauert. Deshalb schreibe ich ihm auch nicht mehr nach Bocholt, sondern gleich wieder ins „FHQ.“
Hier in Tegernsee habe ich mich nun gänzlich eingelebt. Ich glaube mir nicht zu Unrecht einbilden zu können, daß ich nun fest im Sattel sitze. Sogar sehr fest. Über die Verhältnisse ist nicht viel zu sagen. Vom HJ. Standpunkt, den ich ja
augenblicklich sehr vertrete, ist der ganze „Betrieb“ ein Sauladen gewesen. Aber es hat sich schon gewaltig gebessert. Stellt Euch vor: Als Lagerleiter sind „Bubi Hülsmann“ und Genossen eingesetzt, und die Jungen sind teilweise „Großstadtstänze“ im Alter von 12-17 Jahre. Diese 2 Tatsachen kennzeichnen für den Kenner ganz deutlich das Arbeitsfeld, das vor mir liegt. Nun bin ich kein Weltverbesserer und will es auch garnicht sein. Aber was ich tuen kann, daß führe ich aus, um wenigstens nach außen einen guten Eindruck mit meinem Hauptlager machen zu können! Eigentlich hätte ich ja gerne ein kleines Lager von 20-25 Jg. geführt. Aber so bin ich auch ganz mit meinem Schicksal zufrieden, da dieser Einsatz einen würdigen Abschluß meiner Arbeit in der HJ bildet. Wie schon berichtet, besteht mein Hauptlager aus 14 KLV-Lagern, von denen 9 in Tegernsee, 4 in Rottach oder in unmittelbarer Nähe davon (Tegernsee – Rottach 2,5 km)
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und ein Lager auf einem Berghang etwa 200 m über Tegernsee liegt. Der Ort selbst hat eine Höhenlage von 800 m und 3-4000 Einwohner. Er ist ein typischer Fremdenverkehrsort. Auf diese wenigen Einwohner kommen nun 600 Jg. Ein komisches Verhältnis! –
So nun will ich zum dritten Male anfange. Nun habe ich schon eine wunderschöne Schitour heute morgen gemacht mit fabelhafter Abfahrt. Und eben war eine Jugendfilmstunde, an der außer den Einheimischen auch 2 von meinen Lagern teilgenommen haben. Der Film „Robert Koch“ wurde gegeben.
Nun will ich mit meiner Schilderung fortfahren. Inzwischen habe ich allerhand Neues erfahren. Wie ich hier ins Dorf kam, merkte man kaum, daß das ganze Dorf voll KLV lag. Zwar begegneten einem überall Jungen, die aus Norddeutschland kamen. Aber daß das KLV-Jugend sein sollte, war mir nicht klar. Leider
mußte ich dies nur zu deutlich feststellen. Stellt Euch richtige Pennäler vor im Alter von 14-16 und sogar 17 Jahren! Das besagt alles. Dazu kommen noch die Lehren von Podrebrad, der KLV-Führerschule, wonach man die Jungen nicht zu stramm anfassen soll. Unbeirrt dadurch habe ich meine Befehle erlassen, die, wie mir von alten Lmf. gesagt wurde, revolutionär wären in Tegernsee. Das durchzuführen ist aus zweierlei Gründen nicht allzu schwer: Zunächst habe ich mir die besten Lmf. im Gebiet Hochland, die zwar nicht an meine Fähigkeiten, Jugend zu führen herankommen, - aber dafür bin ich ja auch der Hauptlmf. -, aber ihren Dienst vollkommen alleine durchführen können. Und zweitens habe ich einen Hauptlagerleiter, - es ist dies der Oberstudiendirektor Dr. Stephani, der Leiter des Paulinums in Münster, - der in allem meiner Meinung ist.
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Die Herren Studienräte, die als Lagerleiter und Lagerlehrer eingesetzt sind, verhalten sich mir gegenüber verschieden. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Herren nicht mehr aus ihren Wegen herauskönnen und will sie deshalb auch garnicht meiner Meinung betreff Jungenführung usw. überführen. Wäre ja zwecklos. Wie kann denn ein 18 jähr. Abiturient, ein „großes Nichts“, (!) die „S[?]e der Weisheiten, gen. Studienräte, über so etwas belehren. Wenn ein Pauker sagt: „Ja, Herr Schmitt, ich bin eben nicht dafür, daß die Jungen alles ordentlich hinlegen“, dann ist eben für mich nichts zu machen. Dann sag ich ihm eben: „Ich bin auch nicht dafür, habe aber eingesehen, dass es sein muss!“ Dann pflegen gewöhnlich die Herren, wenn es mir noch nicht gelungen ist, von einem andren Thema zu reden. Wenn ich bedenke, was vor zwei Monaten noch die Stdr. für Götter für mich waren, und wie ich jetzt mit ihnen umspringe,
so muß ich direkt lachen. Z. B. kam ich vor einigen Tagen in ein Lager, wo es mit der Ordnung der Jungen nicht weit bestellt war. Plötzlich kommt der Herr Lagerleiter (Lgl.) und sagt: „Ja meine Jungen halten schon Ordnung!“ Was soll man da als „guterzogener“, junger Mann machen? Die Wohlerzogenheit fallen lassen und dem Herrn Dr. Lgl. sagen, daß das Lager ein Saustall ist. Wirkung ist verschieden. Dann erzählt man ihm, daß man ein alter KLV-Hengst ist, und die Peinlichkeit der Situation wird noch größer. Bisher bin ich aber mit allen Herren noch gut ausgekommen. Ich bin für sie Herr Sch. und sie für mich Herr Dr. Wer von den Herren sich mir gegenüber noch als Pauker benimmt, - es sind noch einige darunter -, für den bin ich der Hptlmf. Was das heißt wissen die Herren schon zu genüge. Darum auch das viele „Oja, Herr Schmitt, sehr richtig, Herr Sch.“ Manches Mal
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hängt mir das zum Halse heraus. Aber ihr seht, liebe Eltern, Eure Sohn kann auch jetzt schon mit Erwachsenen umgehen! Er muß nur erst mal etwas sein. Und dafür gehe ich ja noch auf die Universität, um auch im zivilen Leben etwas zu sein, vielleicht sogar mehr als etwas! Ein 2. Fall ist mir da vor einigen Tagen passiert: Ich rufe bei meinem Lager in Rottach an. Es kommt der Herr Lgl. ans Thelephon. Ich gebe ihm etwas für den Lmf. durch. Auf einmal sagt er: „Ach, da sie gerade am Apparat sind, will ich ihnen gleich etwas sagen. Sie waren neulich bei mir im Lager?“ „Ja.“ „Und haben das Lager inspiziert?“ „Nein, es mir angesehen!“ (Es war nämlich mein erster Besuch.) Lgl.: „Ich möchte sie doch bitten, sich beim nächsten Besuch bei mir anzumelden.“ Darauf ich: „Sie waren ja garnicht im Hause, als ich im Lager war! Ich hätte mich dann schon ihnen vorgestellt.
Im übrigen spreche noch mit ihnen über diesen Fall. Heil Hitler!“ Und den Apparat hingelegt. Ein paar Tage später traf ich den Lmf. Ich fragte ihn, was denn seinem Lagerleiter in den Kopf gefahren sei. Er meinte, der sei ganz in Ordnung. Über meine Antwort sei er ganz betroffen gewesen. Heute abend ist in Rottach Elternabend. Da werde ich mir den Herrn mal ansehen. Dazu ziehe ich meine Uniform an, die mit der roten Kordel, die ich jetzt von der Schulterklappe bis zur Brusttasche trage, wie früher die grünweiße, ganz großartig aussieht. Jetzt habt ihr also etwas aus meinem Leben hier gehört. Kommt ihr mal herüber?
Grüße bitte Familie Kraatz auf das herzlichste von mir. Habt ihr schon die Todeskarte von Jochen? Auch der Fam. Looks meine besten Grüße.
Euch grüße Eurer ältester Sohn
als General vom Tegernsee, ha, ho,